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Studio B
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Literaturkritik und Themen, die uns bewegen lobundverriss.substack.com
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Yanis Varoufakis - Another Now: Dispatches from an Alternative Present
Episode in
Studio B
Yanis Varoufakis ist in Deutschland den Zuschauern des eher unterhaltenden Teils des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bekannt ob der Mittelfingeraffäre, bei der er das empörende Körperteil doch tatsächlich uns Deutschen, ja, uns allen Deutschen, gezeigt haben soll, ob unserer Haltung gegenüber den Griechen, ja, allen Griechen, in der Finanzkrise nach 2008. Es war nur ein Böhmermann-Fake dessen Empörungspotential zehn Jahre später niemand mehr nachvollziehen kann, der seitdem einmal in Griechenland Urlaub gemacht hat und auch nur mit einem Griechen geredet hat.
Lesern des Politik- oder Wirtschaftsteils deutscher Tageszeitungen ist Yanis Varoufakis wiederum als griechischer Finanzminister für stolze sechs Monate in 2015 bekannt, in denen er es doch tatsächlich wagte, konstruktive Lösungen für die Probleme zu finden, die sein Land durch den Kollaps eines wohl konstruierten Systems von Investment- und Zentralbanken bekam. Dieses System hatte Griechenland schon in den neunziger Jahren als Spekulationsleckerbissen auserkoren und nun, 20 Jahre später, halb verdaut, wieder ausgekotzt; mit allen seinen 11 Millionen Einwohnern. Am Tisch sitzend mit sechsundzwanzig europäischen Finanzministern um Lösungen zu finden, musste Varoufakis feststellen, dass er auf der falschen Party war. Wollte er doch als Grieche seinen Landsleuten den Lebensunterhalt retten, saßen ihm gegenüber jedoch diejenigen, die die Spekulationen derjenigen finanziert hatten, die die ältesten Demokratie der Welt mal ebenso ruinierten, um sich mit den Gewinnen den nächsten Appetit zu holen. Denn der Spekulant ist niemals satt und konnte sich aktuell nicht zwischen dem nächsten Milliarden-Dollar-Leckerlie entscheiden: italienische Pizza oder spanische Paella? Sowas will finanziert sein, vermittelten die Finanzminister in kompliziert verklausulierten Phrasen, da bleibt leider nichts übrig für Gyros in Pita mit Pommes. Ist auch nicht gesund, sagten die Gesundheitsminister aus Deutschland und Frankreich, setzten die Griechen auf Diät und sparten gleich noch das Gesundheitssystem mit ein. Brauchen die dann nicht mehr.
Frustriert aber nicht besonders überrascht versuchte Yanis Varoufakis noch die eine oder andere Volte und gab nach ein paar Monaten auf, um sich seitdem der Realität nicht mehr frontal, sondern von der Seite zu nähern. Er ist kein reiner Akademiker mehr, wie vor seinem Ausflug in die Politik, aber er reibt sich auch nicht auf, frustriert und desillusioniert, wie man es nach sechs Monaten in den Mühlen der Brüsseler Bürokratie erwartet hätte. Varoufakis schreibt jetzt Bücher, zunächst durchaus bitter klingende Abrechnungen mit dem System, gegen das er keine Chance hatte, dann jedoch ein wunderbares Erklärwerk, in dem er seiner Tochter den Kapitalismus erläutert und wir alle profitierten davon.
Was alle diese Werke besonders macht ist der Autor, dessen Herkunft und akademischer und beruflicher Werdegang von so vielen Wendungen geprägt ist, der so oft die Perspektive wechseln konnte und musste, dass seine Bücher eines nicht sein können: stringente wissenschaftliche Werke von Prolog, These, Antithese und Synthese, Epilog mit Fußzeilen, Anhang und Glossar, die stolz und ungelesen in Bücherschränken stehen. Es sind anregende, Ideen vermittelnde Essays, strotzend von Wissen um Geschichte und Zusammenhänge, geschrieben mit wirklicher Leidenschaft und nur ganz manchmal etwas zu viel Stolz auf die alten Griechen.
Varoufakis bezeichnete sich selbst gerne als "erratischen", neuerdings als "libertären Kommunisten". Ihn damit in der Mitte des politischen Spektrums zu verorten wäre jedoch falsch, er ist ein Linker wie aus dem Bilderbuch, allein seine Karriere als Student an der University of Essex in Großbritannien liest sich wie Satire: Varoufakis war Ende der Siebziger nicht nur in den üblichen Unterstützerkommités für den ANC, die Chilenische Opposition, die PLO und gegen den Krieg in Nordirland sondern, wirklich, auch gewählter Sekretär der "Black Student Alliance" der University of Essex. Als Grieche.
Als Doktor der Mathematik mit einer Promotion über Spieltheorie hielt er danach an einem halben Dutzend Hochschulen Professuren über Ökonomie und Ökonometrie, sprich, die messbaren Grundlagen dieser Möchtegern-Wissenschaft zwischen Psychologie, Soziologie und kapitalistischer Rechtfertigungstheorie, bis er beschloss ein wenig mehr in der Praxis zu forschen. Unter anderem und am bekanntesten wurde er bei Valve, der Firma hinter der größten Computerspielplattform Steam, angestellt um die Ökonomie von In-Game-Währungen zu untersuchen, also dem, was heute, ein paar Jahre später, der feuchte Traum eines jeden Libertären ist: Die autonome, dezentrale Digitale Währung, auf Deutsch: Bitcoin.
Kurz: libertärer Kommunist trifft es ziemlich gut.
Wenn man seinen Vater dazu nimmt, welcher zwar immer im kommunistischen Widerstand gegen die rechten griechischen Juntas, von den Neunzehnvierzigern bis Ende der Neunzehnsiebziger war, und der dennoch im Jahr 2020 als Vorstandsvorsitzender des größten griechischen Stahlproduzenten aus dem Berufsleben ausschied, kann man sich vorstellen, wie oft Varoufakis mit seiner Familie, seinen Kommilitonen, Kollegen, Freunden und sich selbst Argumente diskutierte, statt immer wieder die gleichen Dogmen zu postulieren. Auch seiner Bücher Kapitel schwanken, wie seine Ansichten, schon immer angenehm vom Für zum Wider, vom Pro zum Contra - eine Tatsache, die Varoufakis in der Selbstreflektion sein Scheitern als amtsführenden Politiker erklärt haben wird.
Das Resultat dieser Erkenntnis liegt seit einem Jahr in den Regalen der Buchhandlungen im Englischen als "Another Now: Dispatches from an Alternative Present" oder im Deutschen als "Ein Anderes Jetzt: Nachrichten aus einer alternativen Gegenwart".
Stilistisch macht Yanis einen Varoufakis, lehnt sich zurück, denkt nach und kommt mit einer überraschenden aber einleuchtenden Idee: Statt eines weiteren überlangen Essays mit Pro und Contra, Für und Wider, besinnt er sich auf ein Leben von geführten Gesprächen und bemüht, absolut logisch, den griechischen Urvater des Genres: Platon. Statt dem Leser in Absätzen Ideen und Argumente zu erklären, erschafft sich Varoufakis drei Alter Ego und lässt diese in Dialogen Argumente gegen unsere aktuelle gesellschaftliche Ordnung diskutieren, Alternativen finden und analysieren, hinterfragen und verwerfen und, wichtig für einen, der kein reiner Akademiker mehr ist: deren Verwirklichung planen. Kurz: Varoufakis schreibt uns eine Utopie und lässt seine Alter Egos diese von allen Seiten betrachten, diskutieren, auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.
Als da wären:
Costa ist ein Varoufakis, der sein akademisches, mathematisches, physikalisches Wissen genutzt hat um sich ein finanzielles Polster zu schaffen und mit diesem die reine Lehre zu betreiben, zu forschen. Er liefert in den Dialogen die technologischen Grundlagen, mit denen eine moderne Gesellschaft aufgebaut werden kann, Digitalisierung, Kommunikation - und die Grundlage für die leicht krude Backstory, in der das Buch spielt. Es geht um Wurmlöcher. Oder so. Costa ist Techno-Varo.
Eva ist der libertäre Varoufakis, der an die Kraft der Märkte glaubt. Sie glaubt an die Weisheit der Gier von Aktionären, dass es richtig ist, dass wer mehr leistet, mehr verdient. Das man jeden Dollar nur einmal ausgeben kann, und dass wir ohne das Streben nach Profit nicht in 300 km/h schnellen Zügen zwischen Berlin und Dresden sitzend auf Iphones Spielfilme schauen könnten. Wie gesagt, Varoufakis schreibt eine Utopie. Eva ist Lib-Varo.
Iris ist der Varoufakis in seiner Studentenzeit. Sie kämpfte an der Seite von Bergarbeitern in England in den Streiks der Siebziger und fragte sich damals schon, ob es weise ist, für eine sterbende Industrie zu kämpfen. Sie weiß, dass der Kapitalismus nicht funktionieren kann und verzweifelt daran, dass sich die Linke nicht endlich einigt um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Sie kennt jede progressive Theorie und hasst die linken, woken Grabenkämpfe, in denen es wichtiger ist, wie sich jemand nennt als was er tut. Iris ist der Feminist in Varoufakis und Iris ist ernsthaft frustriert und erschöpft von der Linken. Aber sie ist der Rote Varo.
Nach einem ziemlich schlechten und wirklich zu langem Versuch narrativ an den Punkt zu kommen, in dem sich die drei Alter-Ego Varoufakis miteinander unterhalten können, geht es endlich los:
Techno-Varo schafft es auf eine ziemlich absurde Art und Weise mit sich selbst in einem parallelen Universum zu kommunizieren (fragt nicht). Dieses "Other Now" wie es fortan genannt wird, hat sich von "Unserem Jetzt" im Jahr 2008, also just im Moment der letzten Finanzkrise, abgespalten und eine andere gesellschaftliche Entwicklung genommen. Als in unserem Jetzt nach dem Kollaps der Lehman Brothers Investment Bank, weltweit Banken hunderte Milliarden aus Staatshaushalten bekamen, damit sie nicht mit kollabieren, wurden im anderen Jetzt, der Parallelwelt, Währungen und damit Banken abgeschafft. "What the f**k?" fragt man sich und hier beginnt Varoufakis mit dem, was er ganz hervorragend kann: Erklären. Und zwar Sachverhalte, die uns alle direkt und täglich betreffen, und die wir dennoch nicht intuitiv verstehen. Die aber, zumindest mit der Hilfe didaktischer Zauberkünstler wie Yanis Varoufakis verstehbar sind, und zwar mit deutlich weniger Anstrengung als man ängstlich denkt.
Wie schafft man also Geld ab? Zunächst muss man verstehen, wie Geld entsteht. Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wird Geld im Prinzip von einer Zentralbank gedruckt und an kommerzielle Banken verliehen, also die Deutsche Bank, die Commerzbank und wie die Sympathen des Kapitalismus alle heißen. Diese wiederum verleihen das Geld eigentlich und bis zum Jahr 2008 auch halbwegs zuverlässig an Unternehmen, also an die Bäckerei Graf oder auch Bayer/Monsanto, welche dieses dann an die abhängig beschäftigte Bevölkerung zu sehr kleinen Teilen und ihren Aktieninhabern in entsprechend riesigen auszahlen.
Die Frage, die Varoufakis hier und durchgehend im Buch stellt ist, immer die gleiche: "Warum?". Selbst uns feststehendste Paradigmen und generationenalte Gewissheiten werden mit einem simplen "Und warum genau machen wir das so?" hinterfragt. Oder wie mein alter Zeichenlehrer Zetsch zu sagen pflegte: "Wenn Dir einer sagt, das mache er schon zwanzisch Jahre so, sag ihm 'Man kann etwas auch zwanzisch Jahre lang falsch machen'". Die beiden hätten sich blendend unterhalten.
Hier also, und das kann wirklich nur ein einzelnes kurzes Beispiel sein, das Buch wimmelt von solchen Ideen, eröffnet uns Varoufakis mal kurz auf fünf bis zehn Seiten eine neue Theorie vom Geld. Die natürlich nicht neu ist, die aber das Wissen und die Erfahrung der drei alter Egos, Techno-Varo, Lib-Varo und Roter Varo miteinander verbindet und dann sagt: Warum ändern wir das System nicht so, dass die Zentralbanken, so wie bisher, Geld erzeugen, dieses Geld jedoch digital ist, also ein bitcoin, klein geschrieben, und man dieses nicht über die Armanitragenden Mittelsmänner in ihren lächerlichen Porsches verteilen lässt, sondern direkt an die Bürger auszahlt. Diese erwerben damit Aktien und erhalten Dividenden. Dass in dem System eine Lücke ist, die da lautet "Und wer geht arbeiten?" löst er, in dem er mal soeben den Kapitalismus vom Kopf auf die Füße stellt: Jeder der arbeitet ist automatisch Aktionär und erhält damit Dividenden aus dem Gewinn des Unternehmens. Oder andersrum formuliert, was fast noch mehr Sinn schafft: Keiner der Aktien besitzt, darf untätig sein. Diese Theorie, die ziemlich eindeutig des Roten Varos Handschrift trägt, lässt erwartungsgemäß Lib-Varos' Kopf explodieren, aber im sich daraus entspinnenden Gespräch schafft es der Rote dem Libertären immer wieder klarzumachen, dass diese Form des Kapitalismus "Ein Werktätiger - Eine Aktie" die wahre Form sei. Alle Probleme, von Macht-, Geld- und Gier überhaupt ließen sich damit lösen, Monopole könnten nicht entstehen, Kapitalismus auf Kosten der Umwelt, gang und gäbe in unserem Jetzt, gehöre im "Other Now" der Vergangenheit an. Bis hinunter zum Mobbing würden alle Probleme gelöst durch einen basisdemokratischen Kapitalismus.
Und wir sind erst im ersten Kapitel.
Es schwirrt einem der Kopf, so dicht und grandios sind die Ideen, so detailliert ausgearbeitet die Umsetzung, so genau die Argumente für und wider - man kann das Buch eigentlich nur in Häppchen lesen. Aber da alles mit allem zusammenhängt, wird keine Atempause eingelegt und alternative Geschichte gemacht. Was alsbald nicht nur den Leser zu einer Frage führt: Ok, wir haben im Other Now die perfekte Utopie mit einer umweltgerechten Marktwirtschaft ohne Kapitalismus, ich will nicht spoilern, aber ja, auf diese uns phantasielose Zeitungsleser unreal erscheinende Idee läuft es hinaus. Die Welt ist in kleinen territorialen Einheiten selbstorganisiert, Geld- und Investmentspekulation sind abgeschafft, die Grenzen zwischen Staaten sind nicht nur mehr für Kapital durchlässig und die weltweite Migration von Menschen läuft in konfliktlosen Bahnen, wir arbeiten ohne das Gemeinwesen oder die Umwelt zu belasten basisdemokratisch organisiert oder auch gar nicht, weil Arbeit nicht alles ist und sein darf. Denn natürlich gibt es ein bedingungsloses Grundeinkommen, Künstler gehen ihrer Kunst nach, denn eine so hochtechnologische, harmonische Gesellschaft wirft das bisschen auch ab, dass es keiner wohltätigen Gönner oder künstlerischer Prostitution bedarf um einen wöchentlichen Literaturpodcast kompetent zu erschaffen. Ein Paradies. Die Frage also: wenn die da drüben das alles so haben, wie haben sie das geschafft in nur knapp 20 Jahren? (Das Buch spielt im Jahr 2025)
Der Leser muss tapfer sein, denn jetzt bringt Real-Life Yanis Varoufakis, mit Hilfe technologischer Tricks seines alter Ego Techno-Varo, seine zwei anderen Alter Ego, Roter Varo und Lib-Varo, in Kontakt mit deren Alter Ego im Other Now. Da waren es schon sechs. Diese erklären ihren bedauernswerten Neandertalern in unserer bedauernswerten Welt, ob und wie sie das Utopia erschaffen konnten. Das zu erfahren würde ich der doch jetzt hoffentlich angefixten Leserin zur eigenständigen Übung anempfehlen - ohne groß zu spoilern.
Denn natürlich gibt es einen Unterschied zwischen einem Plan und der Realität, zwischen Utopie und Wirklichkeit. Ein Unterschied namens "der hässliche Mensch". Da es diesen gibt, träumen wir alle Utopien und wenn diese von intelligenten Menschen auf elektronisches Papier gebracht wird, schwelgen wir in deren. Nicht nur weil das weniger anstrengend ist, als sich selbst welche aus zu denken. In unseren ultrarealistischen Zeiten, in denen nichts mehr zählt, wenn es nicht zählt, verändern sich auch die Ansprüche an unsere Träume. Sie müssen real sein und nur wenige zucken bei diesem Gedanken zusammen. So sind wir durch den Kapitalismus konditioniert und wo unseren Vorfahren noch ein Gemälde vom Schlaraffenland reichte, lassen wir einen Varoufakis nicht aus der Verantwortung, ohne das er uns genau erklärt, wie wir da hin kommen. Wo liegt das?
Aber er sich selbst auch nicht. Und das ist der Pull des Buches, das Element, welches es einen nicht aus der Hand legen lässt. Es ist der permanente Dialog, im Buch wie im eigenen Kopf, das permanente "Aber...". Die Faszination ist nicht nur der Vergleich zwischen aktueller Realität und der gemalten Utopie, sondern auch, dass diese durch Varoufakis so plastisch dargestellt wird, dass man sich selbst hineinversetzen kann um zu fragen: "Und das funktioniert?! Nein, oder?!!". Und wenn die Fragen weniger werden und Varoufakis' alter Egos immer wieder eine Lösung finden, für dein eingeworfenes "Niemals! Das KANN SO nicht funktionieren" wird dir schon ein wenig Angst, dass Du, nachdem Du schon so manche Nacht als Varo-Fan-Boy, Whisky süffelnd, seine Interviews auf Youtube verschlungen hast, Du jetzt endgültig in einem Kult landest. Aber auch hier ist der Autor vor. Varoufakis ist Wissenschaftler, kein Priester, er ist erratischer Kommunist, kein Diktator. Er gibt Dir die Grundlagen, die Realität zu verstehen und ihn in seine Utopie zu begleiten. Das macht sie verständlich und Dich weniger ängstlich, wenn Du dazu neigst und weniger enthusiastisch, wenn das dein Laster ist. Du kannst Yanis Varoufakis in "eine andere Welt" folgen und gebannt deren Nachrichten verschlingen oder jederzeit umdrehen und selbstbewusst sagen "Alles Quatsch." und das auch begründen und mindestens einer seiner Alter Egos wird Dir zustimmen.
Allerdings wirst Du dann aufwachen, in unserer wirklichen Wirklichkeit und Twitter aufmachen, oder CNN an, oder was immer dein täglich Gift ist, und musst dann mit genau den Sachen leben, die du dort siehst.
In der nächsten Woche bespricht Anne Findeisen den wiederentdeckten und kürzlich auf deutsch veröffentlichten Roman der Dänin Tove Ditlevsen mit dem Titel „Gesichter“, in dem sie einmal mehr in Abgründe blickt.
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16:14
Die Diskussion - O'Connor, Wells, Osman
Episode in
Studio B
Wenn man selbst an einem höchst-konsensualen Werk wie einem millionenfach verkauften Krimi, dessen einzig vorzuwerfende Schwäche der ins deutsche übersetzte Titel ist, etwas auszusetzen hat, verdient man sich den ehrenvollen Beinamen “Reich-Ranicki”. Diesmal war Irmgard Lumpini dran und wir hatten am Ende doch alle viel Spaß.
Wir sprachen über Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit, Richard Osman: The Thursday Murder Club und natürlich über Sinéad O'Connor: Rememberings
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35:42
Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit
Episode in
Studio B
Vor circa 6 Jahren gab ich meinen Einstieg bei Studio B – Lob und Verriss mit einer Interpretation des Rilke Gedichts Schlussstück, das ich immernoch sehr schätze und welches mir in dem kürzlich von mir gelesenen und nun besprochenen Roman von Benedict Wells Vom Ende der Einsamkeit wieder begegnet ist. Thema des Gedichts ist – kurz gesagt – der Tod und seine Allgegenwärtigkeit in Allem was wir tun. Durch gerade einmal sechs Verse, aus denen Rilkes Gedicht besteht, schafft er es aber, über das Thema hinaus, noch viel mehr zu transportieren. Eine Tatsache, die auch Benedict Wells nicht entgangen zu sein scheint, denn sein 2016 im Diogenes Verlag erschienener Roman hat sich, zumindest gefühlt, eben jenes Gedicht zum Thema gemacht.
Die Handlung des Romans setzt in der Gegenwart ein, in der Protagonist Jules aufgrund eines Motorradunfalls im Krankenhaus liegt. Dieser Unfall ist Ausgangspunkt um sein Leben bis zu diesem Moment zu reflektieren, so dass der Roman, von einigen Ausnahmen die in der Gegenwart spielen abgesehen, in der Retrospektive geschrieben ist. Die einzelnen Kapitel umfassen dabei meist einen Zeitraum von mehreren Jahren. Zunächst erfahren wir, dass die Familie Moreau mit ihren drei Kindern, von denen Jules das jüngste und zu Beginn der Geschichte sieben Jahre alt ist sowie seinem älteren Bruder Marty und seiner älteren Schwester Liz, in München lebt. Ein beschauliches und komfortables Leben, das drei Jahre später durch den plötzlichen Tod der Eltern jäh beendet wird. Die Kinder, deren einzige weitere Angehörige nur eine Tante ist, werden daraufhin auf ein Internat geschickt und müssen von nun an, auf sich selbst gestellt, ihren Platz in der Welt finden.
Liz, die Älteste der drei Geschwister, die bereits vor dem Verlust der Eltern ein eher extrovertiertes Mädchen war und sich ihres guten Aussehens durchaus bewusst ist, gleitet nun zunehmend in ein Leben ab, das vor allem von Drogen und einer exzessiv ausgelebten Sexualität geprägt ist. Den Schein zu wahren, bewundert zu werden und dabei nie jemanden zu nah an sich herankommen zu lassen, sind ihre bewussten oder unbewussten Strategien, um sich vor weiteren Enttäuschungen und vor allem Verlusten zu schützen. Der von ihren Brüdern erhofften Rolle der großen Schwester und Beschützerin kann sie dadurch nicht gerecht werden. Sie driften im Gegenteil noch weiter auseinander. Wells beschreibt und verdeutlicht hierdurch wie der Erwartungsdruck von außen, aber auch ihr eigener Anspruch sie daran scheitern lassen, den Tod der Eltern aufzuarbeiten. Und er führt dem Lesenden auf subtile Weise das Klischee vor Augen, nachdem der vermeintlich Stärkere oder Ältere den Schwächeren bzw Jüngeren beschützen müsste. Im Gegensatz zu Liz' nach Aufmerksamkeit und Bewunderung strebenden Auftreten, steht die ruhige und eben nicht nach Effekten haschende Erzählweise, die verdeutlicht, in welch einen Drahtseilakt sich das Leben der großen Schwester gewandelt hat.
Marty, der Mittlere der drei Geschwister, führt hingegen ein Leben als Nerd. Er flüchtet sich in die Computerwelt, durch die er später auch zu beruflichem Erfolg gelangt und es schafft, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Vor allem seine Ticks, wie das Drücken von Türklinken, nach einem ihm Glück bringenden Zahlensystem, kann er jedoch nie ganz ablegen und zeugen zeitlebens von seinem durchlebten Trauma. Dennoch ist er als Erwachsener bestrebt für seine Geschwister eine Hilfe zu sein, eine Tatsache die zu Internatszeiten völlig undenkbar gewesen wäre. Es offenbart gleichzeitig ein weiteres Motiv, das den Roman durchzieht. Es ist nicht nur das Streben jedes Einzelnen nach seinem eigenen Platz, sondern auch der Wunsch einer sich entfremdeten Familie wieder zueinander zu finden. Die drei sehr unterschiedlichen Charaktere der einzelnen Geschwister erschweren dies nicht nur, sondern verdeutlichen auch exemplarisch die verschiedenen Erwartungshaltungen untereinander.
Jules, der Jüngste und gleichzeitig Ich-Erzähler des Romans durchlebt seine Zeit auf dem Internat als Außenseiter. Früher ein Kind, das keineswegs scheu war und gern im Mittelpunkt stand, zieht er sich zunehmend in sich selbst und seine imaginäre Welt zurück. Nicht nur der Verlust der Eltern, sondern auch der mangelnde Rückhalt seiner Geschwister machen ihm zu schaffen. Schließlich lernt er das Mädchen Alva kennen, die ein ebenso zurückhaltendes Auftreten hat wie er selbst und die durch die ebenfalls frühe Erfahrung eines Verlustes zu einer Freundin wird. Die beiden verbindet vor allem ihr Interesse und ihre Liebe für Musik und Literatur und während man noch hofft, dass sie auch als Paar zueinander finden, ist die Zeit des Internatslebens auch schon vorbei und die Wege der beiden trennen sich auf unschöne Weise.
Bis sie einander wiederfinden und sich schließlich auch als Paar zueinander bekennen, vergehen etliche Jahre in denen sie unabhängig voneinander durch viele tiefe Täler gehen. Jules Leben ist einerseits geprägt von der Zerrissenheit darüber, welchen Beruf er ausüben soll. Er versucht sich im fotografieren, jedoch mehr aus einem Schuldgefühl dem Vater gegenüber heraus, der ihm einst eine Kamera schenkte und die Jules erst nach dessen Tod überhaupt benutzte. Sein Versuch, mit seinen Fotos Geld zu verdienen scheitert immer wieder, so dass er es schließlich aufgibt. Die Sehnsucht, durch das Fotografieren, etwas wieder gut machen zu können, wird regelrecht spürbar und daher umso schmerzlicher als sie nicht erfüllt wird. Sie bringt gleichzeitig den Wunsch nach dem alten Leben zum Ausdruck, dem Leben mit den Eltern und den Wunsch wieder in ein solches Leben zurückzukehren; wieder glücklich zu sein. Mit seiner Leidenschaft für das Schreiben versucht er gar nicht erst beruflichen Erfolg zu erzielen und auch eben jene Leidenschaft und die Nennung und Anspielungen auf diverse Autoren im Roman – von Rilke hörten wir schon – bringen zum Ausdruck, wie sehr die Kunst einen Rückzugsort darstellt, auch oder gerade, weil sie Dunkles und Abgründiges zum Thema hat. Andererseits ist es während des Lesens geradezu schmerzvoll miterleben zu müssen, wie Jules das Gefühl hat, dass ihm, trotz seines jungen Alters, die Zeit durch die Finger rinnt und er die vorhandenen Momente des Glücks einfach nur festhalten will.
Über all dem steht die Frage nach dem Was wäre wenn, die uns in der Literatur und auch im realen Leben schon oft begegnet und die zu beantworten nicht möglich ist. Sie quält den Protagonisten ebenso wie der Wunsch zu einem glücklichen Leben zurückzukehren, das er einmal hatte; wieder normal zu werden. Die liebevolle Art mit der Wells seine Figuren erschafft und sie auch in schwierigen Situationen trotzdem nicht vom Haken lässt, ist bemerkenswert. Umso mehr, bedenkt man, dass er bereits im Alter von 23 Jahren angefangen hat, dieses Buch zu schreiben. Und für das er, nach eigener Aussage, sieben Jahre brauchte, um es fertigzustellen. Es zeugt für mich auch von einer tiefen Sehnsucht des Autors sich Themen wie Verlust und Tod anzunehmen, sich zusammen mit seinen Figuren in diese Abgründe hinein zu begeben, um sich gemeinsam ganz langsam wieder daraus zu befreien und Momente des Glücks erleben zu können. Es ist eine tragische Familiengeschichte die zeigt, wie drei Geschwister auf verschiedene Weise versuchen den Verlust ihrer Eltern zu verarbeiten und dabei ganz unterschiedliche Wege gehen. Die aber auch zeigt, dass ein Wieder-Zueinander-Finden trotzdem möglich ist. Und es ist eine Liebesgeschichte, die ohne Kitsch daher kommt. Generell finde ich Wells' Sprache faszinierend in seiner Klarheit, sorgfältig ausgewählt, knapp, kein Wort zu viel, die trotzdem eine ganze Welt vor meinem geistigen Auge zu erschaffen vermag und die trotz der schweren Themen auch hoffnungsvoll ist.
Eine wunderbare Empfehlung die mir da gegeben wurde und die ich nun unbedingt weitergeben möchte. Ich schließe meine Rezension mit einem Gedicht des eingangs schon erwähnten Rainer Maria Rilke, welches thematisch kaum besser zum Roman passen könnte und den Titel Einsamkeit trägt:
Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.
Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:
dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...
In der nächsten Woche wird Irmgard Lumpini die Schriftstellerin Maria Leitner vorstellen, von der einige Reportagen und ein Roman im Buch "Mädchen mit drei Namen" aus den späten Jahren der Weimarer Republik (wieder)veröffentlicht wurden.
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09:51
Richard Osman: The Thursday Murder Club
Episode in
Studio B
Die typische Leserin des klassischen englischen Whodunnit ist, so kann man annehmen, im Rentenalter. Das macht Sinn, und diese Formulierung exakt so auch, denn es geht um englische Whodunnits und es heißt in der Ursprungssprache nun mal nicht "this has sense". Ok, das macht also Sinn, weil die Beantwortung der Frage "Wer war's" ein zerebrale Tätigkeit ist und das ab einem bestimmten Alter eine der wenigen, die man noch ohne Schmerzen ausüben kann. Zudem braucht das Eliminieren von nie unter einem Dutzend Verdächtigen, um dem Täter auf die Spur zu kommen, eine gehörige Portion Menschenkenntnis, die man sich auf einem langen Lebensweg ganz nebenbei aneignete, genau wie den einen oder anderen special skill, den der talentierte Autor in seiner murder mystery gewinnbringend integrieren sollte.
Da man mit zunehmenden Alter der eigenen Gebrechlichkeit gewahr wird, neigt man im Allgemeinen dazu, all diejenigen, denen diese Erfahrung noch bevor steht, zu verabscheuen. "Diese Jugend!" stößt man asthmatisch dem BMX-Fahrer in der Fußgängerzone hinterher, auch wenn der das gar nicht hört, weil er einen Walkman auf hat. Am allerwenigsten will man also von "Dieser Jugend!" lesen, wenn man es denn zurück in den sicheren Ohrensessel geschafft hat und so ist Sherlock Holmes angenehme sechzig Jahre alt und Miss Marple wird einfach nur als "an old lady" beschrieben, man kann ihr als Leser also selbst ein kindersicheres Alter von 50 bis 90 geben. Clever.
Erträgt man den Anblick von hyperaktiven, jüngeren Menschen gar nicht mehr, zieht man sich als Rentner mit Gleichgesinnten in ein Altersheim zurück, welches von eben diesen hyperaktiven jüngeren Menschen in Funk und Film immer nur als palliativer Limbo dargestellt wird, mit einem Röhrenfernseher im Gemeinschaftsraum auf dem "Richterin Barbara Salesch" in Dauerschleife läuft, bis das Bingo beginnt.
Was aber, wenn das ein ganz falsches Bild ist, wenn man überraschend sieht, dass die geriatrischen Jungs und Mädels eine Menge fun haben? Wie soll das denn gehen? Zum Beispiel wie in Staffel drei, Episode zwei von Inspektor Barnaby, ja, der Rezensent fängt die britische Midsomer Murders Serie nochmal von vorn an, ja, das ist popkulturelle Weiterbildung, keine altersbedingte und winterinduzierte Melancholie. In besagter Folge also, mit dem Titel "Blue Herrings", sind die Bewohner des recht noblen Altersheims rüstige, hellwache, charmante, wunderliche und regelrecht fröhliche siebzig-, achtzig- und neunzigjährige, die, leider, den serientitelgebenden Morden zum Opfer fallen. Aber mit welcher starrsinnigen Lakonie sie das Verschwinden ihrer Mitbewohnerinnen und Mitbewohner zur Kenntnis nehmen und ihrem Tagwerk nachgehen, namentlich Boules, Gin-Tonic und sich gegenseitig verdächtigen, ringt Respekt ab. Wie machen die das, fragen nicht nur wir Zuschauenden uns seit 1999, denn die Serie läuft so lange schon in Dauerschleife in aller Welt, und einer, von dem ich mir sicher bin, dass er sich genau diese Frage beim Anschauen eben dieser Folge gefragt hat, kann ich konkret benennen: Richard Osman.
Osman ist Brite und im dortigen TV eine ständige Präsenz. Er ist der Co-Host einer täglichen Quizshow von korrektem Niveau und strahlt dort eine britische middle class Freundlichkeit aus, wie sie im realen Leben nicht existiert. Ein klassischer Schwiegermutterliebling, gross gewachsen, fröhlich, allwissend und - natürlich - kann er auch noch den perfekten britischen Whodunnit in direkter Fortsetzung von Miss Marple, Detective Poirot und Inspector Barnaby schreiben. Es ist zum Haareraufen. Dass die seinen perfekt, dicht und ohne jede Spur von grau sind, mit seinen 51 Jahren, versteht sich.
Was sich nicht versteht ist, wie er seinen ersten Roman mit dem Titel "The Thursday Murder Club" nicht nur strukturell perfekt hinbekommen hat, sondern auch noch in einem nachdenklichen Optimismus, dass er es spontan auf die Liste der "Top Ten gemütlichsten Kriminalromane" der Literaturbeilage des Guardian schaffen konnte, von den üblichen Bestsellerlisten von Times bis Spiegel gar nicht zu reden.
Der titelgebende Thursday Murder Club tagt im ziemlich poshen Altersheim "Coopers Chase". Wie es sich für einen Whodunnit aus dem Kulturkreis des Whodunnit gehört, ist in diesem Buch nur wenig dem Zufall überlassen und Tradition wird großgeschrieben. So gibt es zunächst den Kommissar, hier zeitgemäß und dennoch beruhigend ein Team, bestehend aus einem alten weisen Mann (ok, fünfzig, hüstel) und einer jungen schwarzen Polizistin, die sich aus Liebeskummer aus dem roughen Süden von London nach Kent in eine Kleinstadt nicht weit von der Kanalküste hat versetzen lassen.
Jedoch sind diese nur wichtige Nebendarsteller, das Spotlight im Buch gehört natürlich dem titelgebenden, alldonnerstäglich tagenden Murder Club. Der besteht aus Ron, einem ordentlich tätowierten ehemaligen Gewerkschaftsführer, was in England nichts mit schnauzbärtigen Anzugträgern mit unaussprechlichen Namen zu tun hat, die in der Tagesschau von Kompromissen träumen. Wer in den Siebzigern in England streikte, teilte mindestens so viel Hiebe aus wie er einsteckte. Zweiter im Bunde ist Ibrahim, ein Psychotherapeut im Ruhestand, in den Sechzigern aus Kairo eingewandert und Elizabeth, die inoffizielle Anführerin der Bande, denn sie ist die mit Abstand cleverste, hintertriebendste und skrupelloseste des Quartetts, in das soeben Joyce aufgenommen wurde, weil sie die Frage, wie lange man mit einer Stichwunde in der Brust überleben kann, kompetent beantwortete und die dazugehörigen bluttriefenden Tatortfotos mit enthusiastischem Interesse betrachtete - die Mindestanforderung um in den Club zu kommen. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Polly, Joyces Vorgängerin im Club, die im Berufsleben Polizistin war und bei ihrem Ausscheiden aus dem Dienst, mehr oder weniger illegal, Akten von ungelösten Fällen hatte mitgehen lassen. Das passt zum modus operandi des Thursday Murder Club, dessen Mitglieder ob ihrer Herkunft und fortgeschrittenen Alters keinerlei s**t mehr geben. Was für die Lösung eines Falles an Mitteln angezeigt erscheint wird gemacht. Hier wird vorher nicht gefragt und sich hinterher nicht entschuldigt, dafür ist das Leben zu kurz und ohne ein bisschen Action außerdem zu langweilig.
Dieses Setting sorgt nicht nur für ausgelassenen britischen Humor, es befreit den Autor auch vom drögen Konflikt zwischen Mittelwahl und Zweckheiligung den klassische englische Kommissare wie Inspektor Lewis oder DCI Thursday seitenweise ausleben müssen. Und natürlich haben Kenner des Genres schon beim Wochentag im Titel des hier besprochenen Buches die Verbindung zum alternden Ziehvater von Inspector Morse, besagtem DCI Thursday, geschlossen, was auf mehreren Ebenen kein Zufall ist. Die Namenswahl ist natürlich literarische Reminiszenz, aber die lebensweisen Mitglieder des Thursday Murder Club spielen, clever geschrieben, immer auch die Rolle des Mentors für unser ermittelndes Team, so wie DCI Thursday das für den späteren berühmten Kommissar Morse war.
Das reizvolle an einer geriatrischen Krimiserie ist, dass man sich intelligent nicht nur von vielen Klischees des Genres lösen kann, man kann auch mit den Vorurteilen Schluss machen, dass alte Leute nur rumsitzen und schlafen oder Kreuzworträtsel lösen. Das machen sie natürlich in Mengen, auch im Buch, aber a) sind deshalb gleich vier alte Leute im Team und eine ist immer munter und b) hat nunmal jedes Alter so wie jeder Beruf, der mal ausgeübt wurde, jedes Hobby dem man gefrönt hat, jeder Schicksalsschlag, den man überlebt hat, das Potential für die Lösung eines Kriminalfalls entscheidend zu sein.
Und genau aus dieser Philosophie macht Osman aus einem simplen Zeitvertreib, einem Whodunnit, ein Buch, welches einem nicht die Zeit verschwendet. Es sollte in der Anlage sicher kein Moralitätenstück werden - ist es aber immer ein wenig. Wir lernen im Buch, wie man mit Verlusten lebt, mit körperlichen Einschränkungen und dass man ein langes Leben nicht ohne den einen oder anderen moralischen Fehltritt übersteht. Und da wir hier kein dreitausend-Seiten-Werk eines norwegischen Möchtegernintellektuellen lesen, dessen Titel aus nur einem bedeutungsschweren Wort besteht, sondern einen Krimi von perfekter Länge, eines unerträglich talentierten Briten, steht auf dessen Buchcover "Der Millionenerfolg aus England" und gibt sich der deutsche Verlag überhaupt keine Mühe mehr, weil selbst der spektakulär krude übersetzte Titel "Der Donnerstagsmordclub", Club mit C geschrieben, es ist ein Wahnsinn, sich zu recht auch so verkauft.
Jeder, der die mittlerweile zwei Bände gelesen hat wird sie, wie ich, begeistert jung und alt weiterempfehlen, schenken und kann sogar entspannt davon erzählen, denn, wie es sich gehört, sind englische Krimis unspoilerbar. Zuviele rote Heringe, unauffällige Bibliothekarinnen, hochverdächtige Priester und total normale Gärtner produzieren eine Wendung nach der anderen, dass man zehn Minuten nach dem Zuklappen des Buches nicht mehr weiß, wer der Mörder eigentlich war.
Und selbst wenn das beginnende Demenz sein sollte, hat man nach dem Lesen von The Thursday Murder Club ein bisschen weniger Angst davor. So ein brillantes, wärmendes, kluges Buch ist das. Danke Richard Osman und bis zum nächsten Band.
In der nächsten Woche widmet sich Anne Findeisen der deutschen Erzählkunst und bespricht Benedict Wells‘ Roman „Vom Ende der Einsamkeit“.
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09:08
Weihnachten 2015 mit Kollegen
Episode in
Studio B
Da wir über den Jahreswechsel etwas rezensionsmüde waren, hier ein Weihnachtsklassiker aus unbeschwerten Zeiten. Am Gabentisch nicht nur Irmgard Lumpini und Herr Falschgold, sondern auch Heiko Schramm und ein geschätzter Arbeitskollege von Anne Findeisen: Mirko Glaser.
Halbwegs funktionierende Links zu den vorgestellten Büchern finden sich in unserem Archiv.
In der nächsten Woche macht es sich Herr Falschgold mit einem Buch aus den Top Ten der gemütlichsten Krimis eben so: Richard Osmans “The Thursday Murder Club”.
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01:55:53
Sinéad O'Connor 'Rememberings'
Episode in
Studio B
Guten Morgen!
Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
vielleicht geht es euch heute früh noch nicht so gut, vielleicht habt ihr gestern in einer Bar noch einmal ausgetrunken, bevor sie ab morgen wieder geschlossen sein werden.
Drückt lieber noch einmal die Stopptaste, trinkt einen Kaffee, wascht den Zigarettenrauch aus den Haaren, geht eine Runde um den Block, bis ihr wach seid.
Willkommen zurück!
Diese Einleitung war der bereits 2. Versuch über das Werk zu schreiben, kurz, bevor die Bars wieder einmal geschlossen wurden.
Seit 6 Monaten scheue ich mich vor dieser Rezension und prokrastiniere, und eigentlich ist die TL;DR Zusammenfassung auch schnell und voller Überzeugung heruntergeschrieben:
Lest Sinéad O’Connors Autobiographie “Rememberings”, sie ist das beste Buch der letzten Dekade und die nachfolgenden Zeilen sind ein paar Hinweise, Zusammenfassungen, Überlegungen, die - leider - diesem Werk sowieso nicht gerecht werden können. This is no fishing for compliments, sondern Fakt.
Spoiler Alert/Triggerwarnung: In einer ersten Fassung dieser Rezension hatte ich es tatsächlich vermocht, mich auf meine Empfindungen zu beschränken und de facto nichts zu verraten, aber das heißt nichts anderes, als mich selbst zu wichtig zu nehmen, wenn es eigentlich um ein wirklich herausragendes Buch geht.
Die Triggerwarnung stelle ich für sehr schwer auszuhaltende Schilderungen von physischer und physischer Gewalt voran.
In einem Interview in “The View”, einer Show auf dem Sender abc hat Sinéad O’Connor ihre Autobiographie als “wichtigsten Song, den sie je geschrieben hat” bezeichnet.
Unschuldig genug geht es los. Sinéad O’Connor beginnt ganz von vorn. Mit den Augen eines Kindes beschreibt sie ihre Familiengeschichte, die 1966 in Irland beginnt: wer sind die Großeltern, wer sind die Eltern, wo haben sie sich getroffen, wann sind ihre Geschwister geboren, alle Namen werden genannt. Eine verwirrende Anzahl der männlichen Personen trägt den Namen John. Dazwischen eingesprenkelt kurze Bilder von Begegnungen und Beobachtungen: die Eltern des Vaters, die Portwein trinken gehen, weil sie sich lieben. Die wüsten christlich geprägten Flüche des Großvaters mütterlicherseits, wenn er Frauen im Fernsehen oder auf der Straße sieht, die seiner Meinung nach unsittlich gekleidet sind.
Der Vater lässt sich scheiden und erhält - ein für Irland außergewöhnlicher Fall - das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen 5 Kinder. Doch Sinéad und einer ihrer Brüder wollen zur Mutter zurück. In ruhigem Duktus, offen, ohne Scham oder Wertung beschreibt Sinéad O’Connor ihre Erlebnisse. Ihre religiösen Erfahrungen, wenn ihr Jesus erscheint, während ihre Mutter sie unbarmherzig zusammentritt. Wie sie bei einem Unfall auf einem Bahnhof schwer verletzt wird, als sich bei einem fahrenden Zug eine Tür öffnet und sie mit voller Wucht trifft. Danach kann sie keine großen Plätze mehr ertragen, Angststörungen sind die Folge.
Ihre Mutter ist eine Kleptomanin, Sinéad ihre Komplizin. Sie kommt auf eine Boarding School für “schwierige” Mädchen, auch dort verstörende Ereignisse, wenn eines der Mädchen schwanger wird und ihr Kind weggenommen wird. Aber auch die Möglichkeit zu musizieren. Kurz vor der Veröffentlichung ihrer ersten Platte mit 18 stirbt ihre Mutter.
Sinéad O’Connor wird zur Ikone, ihre Interpretation des von Prince geschriebenen “Nothing Compares 2U” macht sie weltberühmt und kommerziell erfolgreich. In einigen Kapiteln von “Rememberings” geht sie auf einige ihrer Begegnungen mit anderen berühmten Musikern ein. Die mit Prince ist ohne Zweifel die verstörendste, Lou Reed ist ein Feiner, über Anthony Kiedis lacht sie ganz gut.
Nach ihrer 3. Platte dann der Riesenskandal, als sie in Saturday Night Live ein Bild des Papstes zerreißt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ihre Motive dafür ernsthaft diskutiert wurden. Als Kritik an der katholischen Kirche wurde es damals als geradezu terroristische Handlung verurteilt. Aber das war vor dem Internet und während heute ziemlich sicher ihre Stimme gehört worden wäre, war es damals einfach erstmal mit der Karriere vorbei. Da wurden mit Straßenwalzen ihre Platten öffentlichkeitswirksam exorziert, sprich zerstört, und in den Medien wurde sie als Irre hingestellt. Für sie ein nicht unwillkommener Abgang von der großen Bühne, die kein Popstar, sondern ein Protest Singer sein wollte.
Das Papstbild, dass sie zerriss, hatte im Schlafzimmer ihrer Mutter gehangen. Fast 20 Jahre danach begannen die weltweiten Enthüllungen und Skandale über den systemischen sexuellen Missbrauch, den Umgang mit Sündern, das System von Strafeinrichtungen in Irland, in denen unverheiratete Mütter gequält und ihre Kinder entweder weggenommen wurden oder unter schrecklichen Bedingungen starben. Mit dem Zerreißen des Bildes in einer großen Show wollte sie gegen die im Namen der katholischen Kirche verübten Gräueltaten protestieren, die nicht nur in der Kirche, sondern eben auch in den Häusern stattfanden. Für uns kaum vorstellbar, wie es sich in der irischen Theokratie lebte, in der das Verprügeln von Kindern in Schulen und in den Familien Standard war und von Generation zu Generation weitergegeben wurde; in der man keine andere Wahl hatte, als den 1. Boyfriend zu heiraten, keine Verhütungsmittel; in der es bis 1985 illegal war für Frauen nach der Hochzeit zu arbeiten, die gezwungen waren, ein Kind nach dem anderen zu gebären, und - wenn zu offensichtlich unglücklich - auf Valium gesetzt wurden.
Fest ihren Überzeugungen verpflichtet, auch wenn es sie zum Paria macht. Wenn die Geschichte richtet, steht sie ohne Zweifel auf der richtigen Seite.
Ihre Schilderungen der Einflüsse auf Irland, nicht nur durch die katholische Theokratie, sondern auch politisch-historisch durch Großbritannien, zeigen ein großes Bewusstsein für Ungerechtigkeit, von den Institutionen zu den Menschen in den kleinsten Winkel hinein. Nie bezeichnet sie sich als Antirassistin, ihre individuellen Handlungen, die oft konträr zu den gesellschaftlichen Erwartungen sind, zeigen sie jedoch als solche. Die Wucht ihrer Autobiographie entfaltet sich dadurch, dass sie, die immer Priesterin werden wollte (und irgendwann auch war) nicht predigt, sondern in ihrer eigenen Stimme schreibt.
Zu ihrer Musik gibt sie in einem Block von “Rememberings” einen Überblick zu jeder Platte, erklärt das Warum Weshalb Wieso Mit Wem. Was ich nicht wusste ist, dass eine Vielzahl ihrer Liedtexte aus Scripture, also biblischen Texten, zusammengesetzt ist.
Es gibt viele Erzählungen und Beschreibungen ihrer Erlebnisse, die anrühren ob ihrer Schönheit und auch sehr viele Spass. Nach dem Kapitel mit dem Zerreißen des Papstbildes gibt es einen Bruch, der erst gegen Ende des Buches erklärt wird.
Der 1. Teil ihrer Autobiographie, der bis 1992 reicht, wurde zwischen 2010 und 2014 geschrieben. Danach sind ihre Erinnerungen an die letzten 20 Jahre stark eingeschränkt. Aber ich will ja nicht noch mehr spoilern.
“Rememberings” ist ein besonderes Buch, ein literarisches Werk allererster Güte. Es hat mich angefasst - das ist Code für “zum Weinen gebracht”, aber auch wütend, fassungslos und glücklich. Ein kühles Interesse an der Biographie ist unmöglich. Die Berichterstattung über Sinéad O’Connor ist nach wie vor skandalgeprägt, ihre Darstellung in der Öffentlichkeit oft die einer Irren. Offen geht sie mit ihren psychischen Erkrankungen um.
Sinéad O’Connor ist eine außergewöhnliche Künstlerin, Musikerin und Kriegerin.
Danke fürs Hören und Lesen. Wie zu Beginn versprochen, sind meine Zeilen nicht im Geringsten diesem Werk gerecht geworden. Bitte lest es selbst. In einer Buchhandlung habe ich in die deutsche Übersetzung geschaut, die mir - soweit ich das einschätzen kann - gelungen erscheint.
PS: Hier noch ein relativ neues Interview mit Sinéad O’Connor und den respektvollen Moderatorinnen von The View:
Es verabschiedet sich Irmgard Lumpini, den Link zum Buch findet Ihr auf unserer Website lobundverriss.substack.com. Nächste Woche diskutieren Anne Findeisen, Herr Falschgold und meine Wenigkeit die Bücher der letzten Wochen. Wer vorlesen möchte findet diese auf lobundverriss.substack.com
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08:44
Peter Richter: Über das Trinken
Episode in
Studio B
Die erste Studio B Sendung im neuen Jahr. Was könnte nach dem erst kürzlich zurückliegenden und durchaus feucht-fröhlichem Silvesterabend näher liegen, als ein Buch mit dem Titel Über das Trinken zu besprechen? Eingefärbt wird das Ganze dann noch mit etwas Lokalkolorit, denn der Autor Peter Richter, dessen Werk bereits 2011 im Wilhelm Goldmann Verlag veröffentlicht wurde, stammt aus Dresden. Diese Tatsache macht mich als Leserin und ihn als Autor zu Komplizen, die das gemeinsame Wissen um die ein oder andere Bar gemeinsam haben.
Zunächst sei über dieses Buch aber gesagt, dass es sich hierbei nicht um eine Anleitung zum Trinken, oder gar Saufen handelt. Auch nicht um die Aufforderung sich möglichst häufig die Kante zu geben. Nein, vielmehr geht es Richter darum, darauf aufmerksam zu machen, wie schwer es in unserer Gesellschaft ist, sich dem Alkohol zu entziehen:
„Man wird exakt solange für seine Trinkfestigkeit gelobt, bis es plötzlich heißt, man sei ein Trinker, und dann folgt die Ächtung, dann wird böse getuschelt. Wer allerdings sagt, er trinke nichts, über den wird sofort getuschelt. Wer nichts trinkt, macht sich verdächtig. Eine Frau, die nichts trinkt? Bestimmt »in anderen Umständen«. Ein Mann, der nichts nimmt? Sicher religiöse Gründe. Oder noch schlimmer. (Trockener Alkoholiker!) Es ist in unserer Gesellschaft praktisch nicht vorgesehen, einen Drink abzulehnen. Außer man sagt: »Ich bin ein schwangerer Moslem auf Entzug«. Aber wer sagt so etwas schon?“ (S.15/16)
Bereits August der Starke wusste, dass es zwischen Preußen und Sachsen friedlicher zuging, solange die Gesellschaft nur trank. Er machte daraus eine Tugend und gründete die Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit, über die wir zu Beginn des Buches einiges erfahren, jedoch auch schnell ernüchtert werden darüber, dass dieses Konzept natürlich nicht so ganz aufging.
In 15 Kapiteln arbeitet sich Richter an ganz verschiedenen Problematiken rund um das Trinken ab. Da wäre beispielsweise die Frage, wie man eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung, kurz MPU oder im Volksmund „Idiotentest“ genannt, besteht. Der Autor kann dabei aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz schöpfen. Wobei hier nichts ins Lächerliche gezogen, sondern, im Gegenteil, analytisch betrachtet wird. Dies gestaltet er nicht unamüsant, mit einigen Tipps die helfen könnten, solch eine Prüfung zu bestehen und letztlich der Erkenntnis, dass sie als läuternde Anstalt begriffen werden kann.
Auch der Alkoholkonsum der Jugend, Stichwort Flatrate-Partys oder Komasaufen finden ihre Beachtung und ich finde es sehr gelungen, wie Richter die Thematik durchleuchtet und zu einem sehr befriedenden Schluss bringt. Doch das Spektrum reicht noch weiter. Nämlich dahingehend was eigentlich aus Dionysos geworden ist, inwiefern die Bibel und die griechisch-römische Antike regelrechte Anleitungen zum Trinken sind und dass der Diskurs über den Umgang mit Alkohol bereits im Altertum stattfand:
„Schön ist es zu sehen, daß die Ambivalenz im Umgang mit dem Alkohol praktisch genauso alt ist wie dieser selbst. Schon immer wird gleichzeitig vor den bösen Folgen des Zuviel gewarnt und gleichzeitig, oft sogar von den gleichen Leuten, das Loblied auf das nächste Glas und den Vollrausch gesungen. Dieses Geeiere hat selbst etwas Alkoholisiertes an sich. Der Alkoholdiskurs, könnte man sagen, torkelt von Anfang an ganz gehörig.“ (S. 75)
Im weiteren Verlauf des Buches geht es außerdem um Fragen wie: Dürfen Politiker betrunken sein?, Wie berauscht man sich in der Fremde?, oder einfach: Wer trinkt was, wann und warum? Der Leser wird also in unterschiedlichsten Bereichen mit der Thematik des Trinkens vertraut gemacht. Dabei findet Peter Richter klare und verständliche Worte hinter denen immer deutlich wird, dass alles was er schreibt, gut recherchiert, zu großen Teilen auch selbst erlebt und vor allem gut durchdacht ist. Nie kam mir beim Lesen das Gefühl, dass er das Thema nicht mit dem nötigen Respekt und Feingefühl behandeln würde. Im Gegenteil, es ist sachlich, informativ und mit einem Augenzwinkern an der ein oder anderen Stelle bekommt es eine wunderbare Leichtigkeit, die das Lesen zu einem großen Vergnügen macht. Stellenweise habe ich mich sogar so köstlich über das Geschriebene amüsiert – nicht weil es lächerlich ist – sondern so treffend und humorvoll, dass ich laut auflachen musste.
Diejenigen, die selbst auch dem Alkohol zugetan sind und solche, die von Berufswegen mit ihm zu tun haben, werden dieses Buch vermutlich lieben und Vieles bestätigen und nachvollziehen können, von dem Herr Richter da spricht. Es sind Sätze wie „Und eine Bar ist nichts als die Fortsetzung der Bibliothek mit weniger trockenen Mitteln.“ (S. 19), weshalb ich sofort Freude beim Lesen hatte, an der Thematik sowieso. Richters Formulierungen und Erkenntnisse könnten für mein Dafürhalten kaum treffender sein.
Sein Werk ist ein Plädoyer für den Rausch, aber gegen den Alkoholismus. Facettenreich zeigt er auf, was es im positiven Sinne bedeuten kann zu trinken und sich der damit einhergehenden Leichtigkeit hinzugeben, nicht ohne dabei jedoch auch auf das Negative zu verweisen und mit einzubeziehen. Eingebettet wird dies in historische, theologische, philosophische und gesellschaftliche Ereignisse, Geschichten und Fakten, die Über das Trinken zu einer runden Sache und absoluten Leseempfehlung machen.
Enden möchte ich an dieser Stelle mit einem Zitat, das ich nicht nur auf den Punkt, sondern auch sehr versöhnlich finde:
„Es geht um einen gesellschaftlichen Vertrag, den die Nüchternen und die Trunkenen schließen müssen. Die Nüchternen seien die Diener der Trunkenen. Denn die Nüchternen sind immer nur Trunkene auf Abruf; und was sie Gutes an ihnen wirken, das tun sie letztlich auch für sich selbst.“ (S. 48)
In diesem Sinne: Prosit Neujahr!
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05:52
Jasper Fforde: Early Riser
Episode in
Studio B
Kerouacs “On the road” ist unbestreitbar ein Frühlingsroman. Nicht im meteorologischen Sinne, keine Ahnung ob Jahreszeiten im Buch genannt werden, und wie soll man das auch rausbekommen, aber, einen Trip quer durch die US of A im Sommer in Autos noch ohne Klimaanlage zu machen ist ausgeschlossen! “On the road” also, spielt im Frühling!
J. R. Tolkien ist in “Herr der Ringe” wiederum ganz klar ein Herbstautor. Septemberbunte Wälder im Elfen- und Oktobernebelige Täler im Auenland, dazu diesig-dunkles Mordor im November, das passt.
Sommerromane gibt es nicht. Nie hat je ein Roman im Sommer gespielt, denn keiner will das Lesen. Einen Sommerroman im Winter zu lesen führt zu Depression und Suizid und am Strand im August ist es ungemütlich genug, um nicht auch noch im Buch selbst von flimmernder Hitze lesen zu müssen. Sommerroman gibt es nicht.
Winterromane sind wiederum allgegenwärti,g weil therapeutisches Kassengold. Was bleibt einem im Winter Anderes als zu lesen. Man kann das Haus nicht verlassen, weil es zu anstrengend ist, für die paar Meter in die Bar Anoraks und Winterstiefel anzuziehen und in die Bar in Bademantel und Schlappen gehen, das darf nur der Dude. Also liest man und was gibt es Kuscheligeres als die Vorhänge zuzuziehen um das, was man in der Stadt Winter nennt und doch nur Schlamm und Hundeshit ist zu verbergen und zu ersetzen mit Mengen und Mengen und Mengen von Schnee. Es kann nicht genug Schnee sein.
Und genau das liefert Jasper Fforde. Und damit das auch der letzte Borderline-Depressive am 18.November 2018 versteht, dem deutschen Erscheinungstermin des hier besprochenen Romans, übersetzt der Heyne Verlag den geheimnisvollen Titel “Early Riser”, Frühaufsteher, mit dem “Schlund auf und Rein damit” Titel “Eiswelt”. Es fehlt nur der Untertitel “Ein Winterroman”. Meine Güte.
Die Eiswelt ist, wie in vielen Romanen des Walisers Jasper Fforde, Wales, Anfang des 21. Jahrhunderts, also gerade eben. Steht die Frage, wie Wales, an der Westküste der Britischen Insel und mitten in den nordöstlichen Ausläufern des Golfstromes gelegen, der Schauplatz eines Winterromanes, mit Schnee und Gestöber sein kann. Nun, es ist nicht genau das Wales, welches ich noch letztes Jahr von Portishead, the Village, not the Band aus, mit Blick über den Severn gesehen habe. So unbeeindruckend das geographische Namedropping in der Rezension, so notwendig ist es im Roman, denn Early Riser spielt auf realen Schauplätzen in Wales, aber in einem parallelen Universum, in dem seit Jahrhunderten Eiszeit herrscht, mit Gletschern bis nach Glasgow runter, Sommertemperaturen von 32 Grad plus und Wintertemperaturen von 64 derer minus.
Die Gesellschaft, die sich um einen Winter dieser Strenge gebildet hat ist eine, die den zweimonatigen Winterschlaf, immer dann, wenn der Winter am strengsten ist, zur Strategie ihres Überlebens gemacht hat. Alles ist auf diese zwei Monate eingestellt. In den Wochen vor der Wintersonnenwende ist Bewegung verpönt, gehaltvollstes Essen anbefohlen, damit man eine gesunde Fettheit entwickle, die man in den acht Wochen des Winterschlafes auch braucht, denn was mit Kindern passiert, die ihren Pudding nicht aufessen, erzählt in diesem Wales die Nanny jeden Abend vorm einschlafen. Sie verhungern ganz jämmerlich in ihren Betten. Oder, fast schlimmer, sie wachen vorzeitig auf und fallen damit der Gesellschaft zur Last. Oder, seit der Einführung eines den Winterschlaf fördernden Medikaments, sie wachen frühzeitig als Gemüse auf und können gerade noch so Sachen wie Tom Jones Songs auf der Gitarre spielen. Und zwar immer denselben. Und bekommen, wenn sie nicht genug Kalorien in den Körper kriegen, einen verdammten Heisshunger auf ihre Mitmenschen.
Von dieser Seltsamkeit ist alles in Wales in “Early Riser”: es ist ein nicht enden wollender Trip durch ein absurdes Land aus dem Kopf von Jasper Fforde, aber, und das Wichtigste an jedem Fantasy, Schrägstrich, Gruselroman, die Seltsamkeit ist immer an der Grenze zur Plausibilität. Gruselroman, was für ein bescheuertes deutsches Wort, aber nunja, ist “Eiszeit” für unseren Kollegen Mikis Wesensbitter, der das Buch in der letzten Weihnachtssendung kurz vorstellte und von dem er sagte, “Er sei froh gewesen, dass es zu Ende gewesen sei, er hätte nachts nicht schlafen können.” Ich beneide Mikis da ein bisschen um seine Sensibilität, ich als alter Zyniker lasse mir von einem Roman, in dem ein Pharmakonzern versucht in den Träumen des Protagonisten rumzufuhrwerken, ein sehr schönes deutsches Wort, nicht im Ansatz den Schlaf rauben. Weshalb ich mir Fortsetzungen wünsche, ich möchte mehr Stories aus einer Welt wissen, in der zwar die Indiebands meiner Jugend im Radio laufen, es aber seltsamerweise keine Schusswaffen gibt sondern nur Luftdruckwaffen. Eine Gesellschaft, die sich darauf geeinigt hat, dass man sich im Winter zwei Monate hinlegt ist sowieso mein Ding, aber, dass es da immer Outlaws gibt, die sich wach halten und gar nicht schlafen, macht den Roman interessant und es soll sogar Menschen geben, die jede Nacht schlafen. Wahnsinn. Diese Outlaws sind, im Fall der Gruppe der Villains, also ganz platt “die Bösen” genannt, bei einem Roman von einem Waliser geschrieben und in Wales spielend - Na? - genau: Engländer, die mit Picknicktisch und Teekocher im Winter in Museen einbrechen um rare Briefmarken zu stehlen. Aber, und hier muss ich spoilern, so großartig ist die Idee, es gibt auch Menschen, die im Winter gar nicht schlafen, wie im Fall von Aurora, der unser Hauptheld eines Vormittags begegnet in ihrer Funktion als Sicherheitschefin besagten bösen Pharmakonzerns. Aurora hat ein halbseitige Lähmung, sie kann nur mit ihrem rechten Auge sehen und bittet entsprechend sich in diesem Sichtbereich zu bewegen. Unser Hauptheld Charlie, genannt Wonky, ist in seinem ersten Jahr als Mitglied einer Polizeieinheit namens “Winterkonsule”, die, während alle anderen schlafen dafür sorgen, dass diese das in Ruhe tun können. Am Abend stellt sich Wonky bei seiner neuen Chefin vor, Toccata, die die gleiche Behinderung wie Aurora hat, nur auf der anderen Seite des Gesichtes, sie sieht mit dem Linken Auge, weshalb die rechte Seite ihres Büros aussieht wie Bombe. Erst nach der Begegnung bekommt unser Hauptheld kichernd von einem seiner Kollegen erzählt, dass Toccata und Aurora die gleiche Person sind, ein sogenannter Halbling, bei dem jeweils eine Gehirnhälfte einen halben Tag lang schläft, die andere Tageshälfte dann die andere. Und die sich übrigens abgrundtief hassen und Fernschach miteinander spielen weil sie nicht wissen, dass sie die gleiche Person sind. Auf solche Ideen will ich mal kommen, wenn ich gross bin.
In diesem, hüstel, Winterkaleidoskop spielt eine Story von Kapitalismuskritik und dem Blick auf unsere Welt, den man nur erhält, wenn man eine Geschichte in einem Universum ansetzt, dessen Paramter die exakt nicht zu grosse und nicht zu kleine Entfernung nach rechts (oder links) verschoben sind, dass man sich selbst gerade noch ins Buch begeben könnte ohne ratlos zu sein. Jasper Fforde ist kongenial darin, genau diesen Drahtseilakt zu schreiben, wir erkennen uns in allem wieder und wundern uns, wie wir in dieser Gesellschaft leben würden, die so viel mehr tut zum Überleben als die unsere, und, man kann vermuten, zu spät, irgendwas hat zu diesen strengen Wintern schliesslich geführt. Die Fülle an popkulturellen Referenzen mögen nur britophile Leser wirklich zu schätzen wissen, oder halt Briten, aber man ahnt immer (und Google ist dein Freund), das die Welt für jemanden, der Ambrosia Creamed Rice seit seiner Kindheit zum Frühstück isst, sich dem Eiszeitlichen Wales, seiner Folklore und seinen existentiellen Problemen noch ein Stück näher fühlen wird als wir deutschen Leser.
Aber das tut der Sache keinen Abbruch. Wer es sich gerade in diesem, nach Waliser Verhältnissen milden Wintermonaten, gerne bequem macht mit einem Buch der Originalitätsstufe “Exzellent”, findet in Eiswelt oder noch besser im Original mit “Early Riser” beste Unterhaltung und ich hoffe sehr, nur den Beginn einer langen Folge von Sequels.
Ich vermute aber, dass sich Netflix schon lange und zu recht in Verhandlungen befindet, die Nummer zu verfilmen. Man sieht die verschobenen Gesichter von Haupt- und Nebenhelden vor sich, das langsame Blinken derer, die nicht in Winterschlaf verfallen und zwei Monate im Halbschlaf vor sich hindämmern, man hört den Schneesturm beim Lesen vor dem Fenster, die Luftdruckwaffen mit Namen von Bami (das kleine Handgerät) bis Schtomper, eher für Kühe geeignet, vor sich, zusammen mit den mit kleinem Budget gut umsetzbaren special effects, wenn der Luftdruck kurz den Schnee zu Regen macht und die -40 Grad Celsius das Wasser augenblicklich um den Geluftdingsbumsten erfrieren lässt, auf dass sein Kadaver erst im Frühjahr wieder auftaue. Überhaupt ist das kein Jugendroman, das Killratio ist ordentlich, aber irgendwie immer comichaft, zumindestens für Zyniker wie Herrn Falschgold, allen anderen wünsche ich besten Grusel, egal ob mit Schnee vor dem Fenster oder am Strand bei 40 Grad - Early Riser, oder wie der Heyne-Verlag es will “Eiswelt”, ist kein reiner Winterroman, aber einer der besten seit langem.
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08:40
Die Weihnachtssendung 2021
Episode in
Studio B
Das wir mit unserem neuen Podcastformat, mit wöchentlichen Rezensionen und jede vierte Sendung eine Diskussion mit der diesjährig weihnachtlichen auf dem Sonntag nach der Weihnacht landen würden, daran ist letztendlich Papst Gregor der dreizehnte Schuld, nicht wir, die wir mit Excel nicht umgehen können (in dem wir unseren Sendungsplan führen, wie sich das gehört für einen deutschen Podcast.)
Aber da wir beim Blick auf unsere Abonnementzahlen recht fundiert meinen zu können, dass dieses Jahr sehr viel schlechte Bücher verschenkt wurden, ist der 26.12. als Tag der Veröffentlichung genau der richtige: in den Umsonstladen mit dem Schund und rein mit Qualität, denn dazu haben wir drei Rezensentinnen in Sekt- und G&T-Laune eine Menge Vorschläge, was nicht heißt, dass man sich nicht auch in Weihnachtslaune ordentlich belöffeln könnte.
Links zu den Büchern findet ihr in den letzten drei Episoden.
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38:28
J. D. Robb: “Faithless in Death” & “Forgotten in Death”
Episode in
Studio B
Im vorletzten Sommer stellte ich J. D. Robbs “in Death”-Serie erstmals bei Lob & Verriss vor, nachdem ich die ersten 46 Bücher dieser Reihe gelesen hatte.
Zur Erinnerung: Protagonistin der “in Death” Serie ist Eve Dallas, zunehmend erfolgreiche Kriminalpolizistin im New York der Zukunft, ab circa 2058, die diverse und oft spektakuläre Mordfälle löst.
Ihr zur Seite steht ein wiederkehrendes Ensemble von Personen, deren Rollen manchmal stärkere Bedeutung für die jeweilige Geschichte haben und manchmal weiterentwickelt wurden.
Neben der in Krimis üblichen Aufklärung brutaler Verbrechen war die zunehmende Enthüllung von Eve Dallas Kindheitsgeschichte, zunächst verborgen hinter einer durch ein Trauma entstandenen Wolke, die nach und nach durch Alpträume und Traumabewältigung verschwand, für eine lange Zeit in einer Vielzahl der Romane die wichtigste parallel stattfindende Handlungsebene.
Roarke, scheißreicher und scheißgeiler Ex-Krimineller mit dunkler Herkunft und nun geläuterter Industriemagnat, gesegnet mit dem Faktotum Summerset - eine Reminiszenz an den Batman Mythos - ist Eve Dallas bereits im 1. Band begegnet, im 4. haben sie geheiratet. Nun hilft er ihr bei den Ermittlungen, insbesondere, wenn dafür illegal Informationen zu beschaffen sind.
Das Vorhandensein unerschöpflicher Geldreserven und ihre schlechten Kindheitserfahrungen inspirieren sie dazu, viel Gutes für die Menschheit zu tun, und das ist auch wirklich wichtig: bestimmt haben alle Hörerinnen und Hörer mitbekommen, dass die häusliche Gewalt während der Pandemie neue beschissene Ausmaße erreicht hat, während dringend benötigte Hilfsangebote und Frauenhäuser permanent unterbudgetiert sind. In J. D. Robbs “in Death” Universum schaffen Eve Dallas und Roarke sichere Räume für Frauen und ihre Kinder, also ein Frauenhaus, und kämpfen für Gerechtigkeit für die Opfer von Gewalt.
Beim letzten Mal empfahl ich die ganze Reihe (hier). Nun ist längst nicht mehr Sommer, aber immer noch Pandemie, und 2x jährlich veröffentlicht Nora Roberts, eine der erfolgreichsten Romance-Schriftstellerinnen der Welt und Dauerstammgast auf der Bestsellerliste der New York Times, unter dem Pseudonym J. D. Robb einen neuen Teil der Eve Dallas/In Death Serie.
Zeit für Eskapismus, Zeit für 2 weitere Bände: Nr. 52: “Faithless in Death” und Nr. 53: “Forgotten in Death”.
Habe ich die Lektüre genossen: natürlich. Hat diese meine (nicht besonders hohen) Erwartungen erfüllt? Nein. Leider.
Die aufzuklärenden Kriminalfälle waren spannend, wenn auch nicht besonders innovativ: in “Faithless” geht es um eine (geheime) Sekte, die misogynen und rassistischen Vorurteilen anhängt, sprich, nur Weiße werden in familiären Verbindungen geduldet, und Frauen zur Fortpflanzung gezwungen, während Renitenz und Widerstand dagegen mit Zwangsarbeit und Gewalt geregelt werden. Die Chefs dieser Sekte haben große gesellschaftliche Macht und agieren im Geheimen, denn solche Überzeugungen und vor allem die daraus resultierenden Handlungen sind - da sind wir in der Zukunft - längst geächtet. Mindestens eine ähnliche Story hatte J. D. Robb schon beschrieben, wenn auch mit anderen Vorzeichen, aber das ist im Verhältnis zu den nächsten Kritikpunkten fast zu vernachlässigen. In “Forgotten in Death” wird zunächst eine Obdachlose mit eingeschlagenem Schädel auf einer Baustelle gefunden, wenig später in einem anderen Teil der Baustelle ein weibliches Skelett mit einem Fötus, deren Aufklärung Eve Dallas gleich mehrere Verbrecher zur Strecke bringen lässt und für die Toten Gerechtigkeit, wenn auch zu spät, schafft.
Während der Zukunftsaspekt der “in Death” Serie abnimmt, weil sich die Gegenwart immer mehr an die Handlungszeit der Serie annähert - zum Start 1995 war die imaginierte Zukunft des Jahres 2058 einfach viel weiter weg als nun 25 Jahre später - spielen aktuelle Themen, um die gesellschaftliche Kämpfe geführt werden, eine immer größere Rolle.
Leider verflacht die Darstellung der Charaktere zunehmend. Sie sind eindimensional, und dies ist ganz klar der Länge der Serie geschuldet:
Die großen und persönlichkeitsbildenden Traumata der Protagonisten Eve Dallas und Roarke sind nach mehr als 50 Bänden enthüllt. Nun sind sie glücklich verheiratet und machen keinerlei Anstalten, das zu ändern. Persönlich freut mich das sehr, aber außerhalb des aufzuklärenden Kriminalfalls endete eine Spannung erzeugende Erzählachse.
Auch die Entwicklungen des Ensembles an der Seite von Eve Dallas ist nun eigentlich abgeschlossen, wenn J. D. Robb nicht entgegen ihrer Gewohnheit den Sympathieträgerinnen Unheil angedeihen lassen möchte: Eve Dallas’ beste Freundin Mavis ist schon einige Zeit super erfolgreich, glücklich verheiratet und hat ein Kind. In einem Band war der Running Gag, dass sowohl Eve Dallas als auch Roarke überhaupt keinen Bock hatten, Mavis bei der Geburt zu begleiten und ihnen das alles suspekt ist, weil sie sich selbst genügen, und grausame Morde leichter zu ertragen sind als Wunder und Umstände der Geburt eines Babys, aber selbst das ist durch. Die Verwicklungen in der Liebe zwischen Eve Dallas Assistentin Delia Peabody und Detective Ian McNab sind geklärt. In der Vergangenheit konfliktanfällige Beziehungen wie z. B. zur erfolgreichen Journalistin Nadine Furst, die zu Beginn der Serie zwischen dem Landen eines schnellen Scoops oder der ganzen Geschichte hin- und hergerissen war, ist einer tiefen Freundschaft gewichen, die Nadine nach der Veröffentlichung von einigen Fällen von Eve Dallas auch als erfolgreiche Romanautorin etablierte.
Fast alle Konfliktherde sind nun gelöst, selbst die permanenten Battles zwischen Roarkes Butler Summerset und Eve Dallas sind Geschichte. Das ist zwar nachvollziehbar, denn es wäre auch wenig glaubwürdig, wenn Eve Dallas den Butler immer weiter dissen würde, obwohl sie in den vergangenen Jahren viel Hilfe von ihm bekommen hat und sein interessanter Lebenslauf ebenfalls ausführlich beschrieben wurde. Dem Kampf Eve Dallas mit den häufig anderen Frauen zugeschriebenen weiblichen Vorlieben, die diese schlicht unsinnig findet und ihr große Angst vor der allseits beliebten und häufiger auftretenden Kosmetikerin Trina bescherten, wurde von J. D. Robb - längst überfällig - kein Raum mehr gegeben.
So bleiben nur ein paar lame wiederkehrende Gags, wie die grell gemusterten Krawatten eines ihrer Detectives, aber das ist einfach zu wenig, wenn sich die Bücher der Serie vorher durch vielschichtige Persönlichkeiten und Beziehungen auszeichnete.
Damit ist die Geschichte nun auserzählt, weil Entwicklung und Hintergrund der Protagonisten enthüllt sind. Leserinnen und Leser, die die komplexen Hintergründe nicht in den ersten 50 Bänden erfahren haben, dürften die Stories schlicht flach finden. Vielleicht ist das Weglassen aber auch dem Wunsch der Autorin geschuldet, treuen Lesern nicht mit Wiederholungen auf den Keks zu gehen.
Ähnliches gilt leider für die Jack Reacher Reihe, hier bin ich beim letzten Band noch nicht über die ersten 20 Seiten hinausgekommen. Adieu, Eve Dallas, es war eine schöne Zeit.
Nächste Woche diskutieren Anne Findeisen, Irmgard Lumpini und Herr Falschgold die Bücher der letzten Wochen. Wer vorlesen möchte, findet diese auf lobundverriss.substack.com
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07:41
Banana Yoshimoto: Tsugumi - Federkleid - Lebensgeister
Episode in
Studio B
Mein Lesejahr 2021 begann mit einem der großen japanischen Autoren, der auch hierzulande vielen bekannt sein dürfte und durch Werke wie Kafka am Strand und viele andere weltberühmt geworden ist. Richtig, die Rede ist von Haruki Murakami. Danach war die von mir ausgewählte Literatur jedoch eher von weiblichen Autorinnen geprägt und so kam es mir gerade Recht, als ich durch einen glücklichen Zufall mit einer echten Banana Yoshimoto Kennerin ins Gespräch kam, denn die, wie Murakami ebenfalls aus Japan stammende Autorin, war mir bis dato unbekannt. Und so wurde ich, nachdem ich mein Interesse an ihr bekundet hatte, wenig später umgehend mit Literatur von ihr versorgt. Wann immer ich ein Buch beendet hatte, war auch schon das nächste für mich ausgesucht und zurecht gelegt worden. So kam es zu der diesjährigen und mein Lesejahr beendenden Anzahl von allen guten Dingen, nämlich drei Büchern, die ich zum Jahresabschluss versuchen will, in einer Rezension zu besprechen.
Banana Yoshimoto, eigentlich Mahoko Yoshimoto, wurde 1964 in Tokio als Tochter eines einflussreichen japanischen Denkers, Dichters und Literaturkritikers sowie einer Dichterin, geboren. Sie selbst begann angeblich bereits im Alter von 5 Jahren zu schreiben und studierte später japanische Literatur. Es scheint also, dass ihr eine gewisse Prägung und Affinität für Literatur schon in die Wiege gelegt wurde. Ihre Werke Tsugumi, Federkleid und Lebensgeister erschienen in den Jahren 1989, 2003 und 2011 im Original und wurden jeweils erst einige Jahre später ins Deutsche übersetzt und im Diogenes Verlag veröffentlicht. Alle drei Bücher eint, dass sie aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin geschrieben wurden, die den Lesenden durch ihre Geschichte führt.
Der Roman Tsugumi erzählt die Geschichte der beiden Cousinen Maria und Tsugumi, die ihren letzten gemeinsamen Sommer verbringen, bevor Maria, die in diesem Fall auch die Erzählerin ist, das Küstenstädtchen, in dem sie bis dahin gewohnt hatte, verlässt, um mit ihren Eltern in Tokio zu leben. Die Spannung des Romans macht dabei zu einem großen Teil die Unterschiedlichkeit der beiden Mädchen aus. Während Tsugumi zwar kränklich ist und oft im Bett liegen muss, weil es ihr nicht gut geht, ist ihr Wesen trotzdem wild und ihr Verhalten teilweise fast unverschämt, aber auch bedingungslos. Wohingegen Maria ihren zurückhaltenden und liebevollen Gegenpol darstellt, was es ihr auch mitunter schwer macht, mit Tsugumis Art zurecht zu kommen und sich nicht vor den Kopf gestoßen zu fühlen. Letztlich eine Geschichte über Freundschaft, aber auch über einen ganz besonderen Lebensabschnitt, der angefüllt ist mit Träumen, Hoffnungen und dem bereits die Ahnung innewohnt, dass sich Lebensverhältnisse und -realitäten ändern werden. Ein letzter Sommer: schon die Formulierung scheint zur Metapher geworden zu sein, bei der sich einem zwangsläufig Bilder auf die Netzhaut drängen, die von Wärme und Freude, aber ebenso von Abschied geprägt sind. Ein leichtfüßiger Roman, der viele Sehnsüchte in sich vereint und sich, soweit ich das mittlerweile beurteilen kann, von anderen Werken Yoshimotos in einigen Punkten deutlich unterscheidet.
In dem viele Jahre später erschienenen Roman Federkleid dreht sich die Handlung um die Protagonistin Hotaru, deren Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann nach vielen Jahren abrupt endet. Dieses Ende lässt sie nicht nur den Boden unter den Füßen verlieren, sondern verdeutlicht ihr auch, in welcher Abhängigkeit sie zu ihrem Geliebten gelebt und wie wenig sie sich um sich selbst gekümmert hat. Sie verlässt daraufhin das gemeinsame Appartement in Tokio, welches er ihr überschrieben hat und kehrt in ihre Heimatstadt zurück. Hier hilft sie im Café ihrer Großmutter aus und knüpft neue Freundschaften bzw. entdeckt alte wieder.
Direkt zu Beginn des Romans wird deutlich, dass die Trennung – und das sind Trennung, Verlust und Abschied bei Yoshimoto sehr häufig – ein zentrales Motiv ist. Es ist die Aufarbeitung einer Vergangenheit die plötzlich als teilweise fremdbestimmt bzw. losgelöst von den eigenen Erwartungen wahrgenommen wird. Hotaru schafft es nur sehr langsam sich einen Alltag zu „erarbeiten“. Vor allem durch Kleinigkeiten lernt sie das Gefühl von Glück und Geborgenheit wieder spüren zu können. Wichtig in Yoshimotos Romanen, so auch in Federkleid, ist die ebene des Übernatürlichen. Diese Phänomene, die ganz unterschiedlicher Natur sein können, werden jedoch nicht als beängstigend wahrgenommen, sondern sind ihren Protagonistinnen oft eine Hilfe um Trost zu finden oder Zusammenhänge und ihr eigenes Leben besser verstehen zu können.
So verhält es sich auch in dem dritten, von mir besprochenen Roman Lebensgeister. Die Protagonistin Sayoko verliert durch einen Autounfall, bei dem sie selbst schwer verletzt wird, ihren Partner. Durch den Unfall ist sie dem Tod sehr nahe gekommen, hat quasi für kurze Zeit ein Zwischenreich betreten, in dem sie sowohl ihrem toten Großvater als auch ihren Lieblingshund, den sie als Kind besessen hat, begegnet ist. Auch nachdem sie aus dem Koma erwacht, bleibt ihr die Gabe, Geister zu sehen, erhalten und diese ermöglicht es ihr auch, langsam ihr Trauma zu bewältigen. „Ihre Art, mir zu begegnen, gab mir das Gefühl, mit der Welt verbunden zu sein und nicht als jemand gesehen zu werden, der leidet und sich quält. Die Gewissheit, Teil des Lebens zu sein und mit ihm zu verschmelzen, beruhigte mich.“ (B.Y.- Lebensgeister) Diese übernatürlichen Begegnungen nutzt die Autorin nicht nur um ihrer Protagonistin durch die Trauerphasen zu helfen, sondern auch, um ihr wieder Lebenswillen einzuhauchen. Allmählich gewinnt sie ein Gefühl von Geborgenheit zurück, etwas, dass uns auch aus Federkleid bekannt vorkommt. Es ist ein wiederkehrendes Thema bei Banana Yoshimoto die eigenen Schwächen, Unzulänglichkeiten oder auch die Vergangenheit zu überwinden und wieder zu mentaler Stärke zu gelangen und neue Möglichkeiten wahrzunehmen. Dabei spielen natürlich auch neue und alte Freundschaften im Roman eine Rolle; Menschen die Sayokos Leben begleiten und dabei, ähnlich wie sie selbst, mit sich hadern oder eigene Verluste erlebt haben und zu verarbeiten suchen.
Ein wichtiger Fakt, der in der deutschen Übersetzung nicht vermerkt oder berücksichtig wurde, auf den ich aber in Vorbereitung auf meine Rezension stieß, ist die Tatsache, dass Yoshimoto Lebensgeister als Allegorie auf Fukushima verstanden wissen will. Mit dem Verfassen des Romans folgt sie nämlich der nationalen Aufforderung an die Kunst, dem japanischen Volk Aufarbeitung und Trost nach der Katastrophe anzubieten und zu ermöglichen, um die schrecklichen Geschehnisse verarbeiten zu können. Ohne diesen Verweis könnte der Roman wie eine weitere Variation bereits bekannter Themen wirken.
Lebensgeister ist von allen drei von mir besprochenen Werken definitiv mein Favorit, auch ohne die Vorkenntnis der besonderen Umstände, unter denen er erstanden ist. Die Ernsthaftigkeit des Themas und die geradezu Leichtigkeit mit der es Banana Yoshimoto schafft, dieses zu bearbeiten, hat mich fasziniert.
Alles in allem haben die Werke von Yoshimoto etwas fabelartiges an sich. Die bereits angesprochenen und oft von ihr verwendeten Themen wie Verlust und Abschied variiert sie und gibt sie ihren Protagonistinnen als Aufgabe. Trotz der Schwere dieser Prüfungen wirken ihre Romane nicht er- oder bedrückend, sondern eher mühelos. Das Übernatürliche nutzt sie dabei als Stil- und Hilfsmittel, um ihre Figuren Zusammenhänge verstehen zu lassen, aber auch als Brücke zur Verbesserung ihrer Lebensumstände. Auch Freundschaften spielen in diesem Zusammenhang immer eine wichtige Rolle. Sie schafft damit in gewisser Weise eine Literatur die der Selbsthilfe dient, sich wunderbar leicht lesen lässt, aber nie abgedreht wirkt und einen moralischen Kompass nie außer acht zu lassen scheint.
Definitiv zu empfehlen, wenn es mal nicht der dicke Schmöcker oder die sonst so ernsten, von mir besprochenen Bücher sein sollen und man sich trotzdem gut unterhalten fühlen will. Und ein Buch unter dem Gabentisch macht sich immer gut.
Und weil wir nun so viel über Abschied und Freundschaft gehört haben und es nunmal meine letzte Rezension dieses Jahres ist, möchte ich an dieser Stelle noch ganz unkonventionell allerliebste Grüße an meine Josi nach Amerika senden. Auf bald meine Liebe!
In der nächsten Woche wird Irmgard Lumpini ihren aktuellen Lesestoff vorstellen und knapp vor dem Fest noch einige Empfehlungen für den Gabentisch aussprechen.
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09:11
Die Falschgoldschen Weihnachtsbuchgeschenkempfehlungen 2021
Episode in
Studio B
Ein Jahr geht zu Ende und wie es wohl Tradition werden wird, sitzen wir im Lockdown und haben endlich Zeit zu lesen. Man holt die ganz dicken Schmöker raus, die, für die es um 15:30 Uhr dunkel werden muss, damit man sie in realistischen Zeiträumen ausgelesen bekommt, die fetten Werke, "unter 500 Seiten gibt's hier gar nichts!", die einem von Literaturpodcasts rücksichtslos empfohlen werden, weil, man hat ja sonst nichts zu tun.
Um sie als ein solcher empfehlen zu können, muss man sie natürlich gelesen haben, wir sind hier schließlich nicht beim Feuilleton. Und dort habe ich dieses Jahr einen taktischen Fehler gemacht, und zeitgleich drei Bücher der Kategorie "Werk" begonnen und weil die "Werke" zu lesen denn doch ein bisschen in Arbeit ausartete, prokrastinierte ich mich zudem durch zwei neue Bände klassischer Thrillerreihen um augenblicklich einem reizenden Fantasy Epos verfallen zu sein. Doch der Reihe nach und, falls das nicht aufgegangen sein sollte, das ist die alljährliche Weihnachtssendung des Studio B, diesmal in drei separaten Episoden, von jedem der drei Stammrezensentinnen eine.
Im Frühjahr hat Hilary Mantel den dritten und finalen Teil ihrer Geschichte der bewegten Jahre des Thomas Cromwell am Hof Henry des VIII. veröffentlicht und da Band I und II schon 2010 respektive 2013 erschienen waren und das Verzeichnis der handelnden Personen ein dutzend Seiten lang ist, zudem die Sprache, der Witz und die Klugheit dieses Epos von mir oft genug gelobt wurden, machte ich etwas äußerst Rares: Ich las den ganzen Schinken noch einmal von vorn. Im Allgemeinen verabscheue ich dieses Verschwenden von Lebenszeit wie der Landkreis Görlitz die Vakzination, jedoch gewinnt die Cromwell-Trilogie beim zweiten Lesen noch einmal an Tiefe! Las ich die Bücher beim ersten Durchgang vor allem sprachfasziniert und manövrierte mich nur mit Hilfe der X-Ray Funktion von Amazons Kindle durch das Meer der Akteure, war ich beim zweiten mal Lesen so fest in den Grundlagen der englischen Adelskaste, dass ich "Wolf Hall" und "Bring Up the Bodies" noch einmal wie ein enorm großes Sittengemälde lesend betrachtete, bevor ich mich "The Mirror and the Light" widmete.
Oh oh, nur war das auf einmal Neuland, wieder neue Akteure, wieder neue Intrigen, dazu immer noch feinste aber anspruchsvolle Sprache, nach einem Drittel war ich erschöpft und weil es also der letzte Teil der Trilogie ist, hab ich "The Mirror and the Light" nochmal zurück geschoben, wie die Oma die Blutwurstscheibe auf dem Magarinebrot im Winter '47. Auf diesen leckeren letzten Bissen will ich mich noch ein paar Wochen freuen! Ich griff also nach Alternativem, von dem ich sogleich berichten werde, nicht ohne vorher alle drei Bände der Thomas Cromwell Trilogie von Hillary Mantel für "quer durch alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten" zu empfehlen, auf Deutsch wie Englisch, das Ding hat nicht umsonst jeden Preis abgeräumt, den gibt.
Nun bin ich in Hilary Mantels Epos kurz nach Erscheinen mehr oder weniger hineingerutscht, schon wissend, dass da noch ein paar Teile kommen werden. Das sofortige Lesen solcher ersten Bände widerspricht eigentlich meinem Credo "Man liest Mehrteiler erst, wenn alle Bände erschienen sind", aber ich konnte mich dem Bann der Sprache einfach nicht entziehen. Bei "Peripherie" von William Gibson hingegen war mir einfach nicht bewusst, dass es da drei Teile geben wird, schreibt Gibson doch im Allgemeinen alleinstehende Stories, das kann ja keiner ahnen. William Gibson, für nicht Genreaffine, schreibt im weitesten Sinne Science Fiction, hat den metaesten Twitteraccount von allen, jeder Retweet relevant und mit wundervollem Auge für das Erstaunliche unserer Zeit kuratiert und ist der Erfinder des “Cyberspace”, der große Bruder von "Metaverse". Letzteres ist augenblicklich in aller Mainstreammunde, weil er von einem Psychopathen namens Zuckerberg ganz unironisch verwendet wird um uns in einen digitalen Käfig zu locken und zu versklaven, ohne zu wissen, dass das sein Ruin werden wird, ihr habt's hier zuerst gehört. “Peripherie” also ist Teil eins von dreien, erschienen im Jahr 2015 und im September 2020 bracht Gibson den zweiten Teil heraus mit dem Titel "Agency". William Gibsons Werke sprühen generell von prophetischer Kurzsicht, hier definiert als die Gabe eine Zukunft zu erfinden, so kurz hinter der Gegenwart, dass die Technologie zum Zeitpunkt des Lesens fast schon Realität ist, weshalb sich beim Lesen ein seltsames Vertigo einstellt, das man mögen muss. In Peripherie gibt Gibson zudem den Erklärminimalisten, vieles von dem was passiert und wie es passiert, ob an einem Bildschirm, in VR oder real life muss man sich erarbeiten bis erträumen, welches mich ob alltagsbedingt fehlender Muse dazu brachte, das Buch schon zweimal nach ein paar Dutzend Seiten aus der Hand hat zu legen. Aber mit jedem Neubeginn wird alles klarer, schon weil die technologischen Prophezeiungen den Realitäten wieder ein Stück näher gekommen sind und man ahnt, bald einen historischen denn einen utopischen Roman zu lesen, wenn man nur noch ein paar Monate wartet. Und ja, auch hier lese ich einen ersten Teil, wenn der dritte noch nicht einmal terminiert ist, aber bei meiner Datenverarbeitungsgeschwindigkeit bei Allem von William Gibson ist das kein Problem. Geschenkempfehlung für alle, die heute lesen wollen, wie wir in zwei Jahren denken, aber man muss ein bisschen ein Faible dafür haben, sich eine Story zu erarbeiten.
Das dritte "Werk" ist eines, von dem ich hier nichts erzählen darf, die non disclosure agreements sind also auch im unkommerziellen Literaurpodcast angekommen, wir drücken mal allen wissenden Beteiligten die Daumen, dass das Ding zur nächsten Weihnachtssendung öffentlich rezensiert werden darf, denn, es wird ein Fest. Aber, auch dieses Buch ist so fett und komplex, dass es mal für ein paar Wochen auf Seite zwei der Leseliste rutschen musste, damit man nicht ausschließlich im polaroidfilterfarbenen Amerika des kalten Krieges träumt.
Aber es ist ja Herbst, was heißt, dass man zur Ausspanne immer die Wahl hat zwischen dem neuen Jack Reacher und dem neuen Michael Connelly! Ersterer ist der Hauptheld einer Thrillerreihe von Lee Child, der aber seit zwei Bänden nur noch den übergroßen Autorentitel auf dem Cover zusteuert und die Schreiberei interessanterweise seinem Bruder Andrew übergeben hat. Nicht weil er krank oder tot wäre sondern weil, wir müssen es annehmen, er auch keinen Bock mehr auf das wandelnde Klischee "Jack Reacher" hat. Der Bruder macht es nicht schlechter als der Bruder, was nicht sonderlich schwer ist, bedient sich Lee Child doch seit Band eins einer extremen Einschränkung der literarischen Mittel, die zunächst effektvoll und erfrischend war, mittlerweile aber fast komisch anmutet. Keine Nebensätze, keine Perspektivwechsel, keine Rückblenden, Vorblenden oder ähnliches hochgeistiges Gedöns. I like. Inhaltlich waren dem Leser eines Jack Reacher Bandes schon immer 360 Seiten reinen, ungestörten Eskapismus sicher, fand die Handlung doch stets in einer amerikanischen Kleinstadt statt, in die die Realität nur in gerade so handlungsnotwendigen Schlaglichtern eindrang und auch in "Better Off Dead", dem aktuellen Band, gibt es kein Corona, keine Wirtschaftskrise und nur, wenn man ganz genau zwischen den Zeilen liest, einen ungewerteten Präsidenten Trump. Das ist in sich eine Leistung und liest sich so stressfrei, wie man es manchmal braucht.
Der literarische Einfluss des Bruders Andrew Lee ist insofern spürbar, als dass die fast komplette sprachliche Verödung des letzten von Lee Child allein geschriebenen Bandes "Past Tense", dieses Jahr auf deutsch als “Der Spezialist” erschienen, in dem stilistisch die wörtliche Rede einer Kartoffelbäuerin aus Kanada nicht von der des Actionserienhelden Jack Reacher zu unterscheiden war, nicht übertroffen wurde und wenn man ganz liebevoll-optimistisch liest, ahnt man, dass da Potential und vielleicht sogar Lust ist, Jack Reacher auf neue Wege zu schicken, wir werden es erfahren, in der 6. Welle im Herbst 22. Bis dahin kann man das aktuelle Buch - so wie jedes von Lee Child - jedermann schenken, wer noch nie einen Jack Reacher gelesen hat, wird es lieben und wer schon alle gelesen hat, liest auch den. Literaturkapitalismus, Baby!
Michael Connelly hingegen, der zweite unserer allherbstlichen Thrillerautoren, ohne die wir nicht können, hat noch Lust am Schreiben und weiß, wie man die literarische Monotonie vermeidet. Schon früh hat er den Büchern über den Kriminalkomissar mit dem wunderbaren und literarisch endlos ausschlachtbaren Namen "Hieronymus Bosch", tätig in Los Angeles, Bände mit dem Lincoln Lawyer Michael Haller als Protagonisten zur Seite gestellt, einem gewieften Strafverteidiger, ebenfalls in L.A., titelgebend aus einem Lincoln Towncar arbeitend. Parallele Bände mit folgerichtigen Stories, in denen sich die Wege beider Haupthelden kreuzten boten dem alljährlichen Leser einen Weg abseits der immergleichen Whodunits in einen literarischen Kosmos "Los Angeles" einzutauchen, in dem er bald jedes Viertel, jeden Highway kannte und zusammen das Leben von Haller und Bosch Jahr für Jahr "erlebte". Das passiert nun auch schon dreißig Jahre lang und statt auf die in unserer Hyperrealität nicht mehr statthafte Finte des nie alternden Kommissars, setzt Connelly auf neues Personal und weil der Autor ein Demokrat in California ist, ist dieses weiblich und unweiss, was nicht woke ist, sondern toll. Renée Ballard, eingeführt im Band "The Late Show" im Jahr 2017 arbeitet nur noch Nachtschicht, nachdem sie ein paar Großkopferten in der Los Angelinischen Polizei auf die Schuhe gepinkelt hat, weil sie die ihr widerfahrenen sexuellen Übergriffe nicht unter den Teppich kehrt. Und es ist den Perspektivenwechsel wert. Im aktuellen Band "The Dark Hours" arbeitet sie mit Harry Bosch zusammen, der nun so alt ist, dass sie langsamer laufen muss vom Tacostand zum Auto, damit er hinterherkommt, aber er hat immer noch die Moral gepachtet und das Wissen, was zu tun ist, wenn Dir zwei Fälle gleichzeitig vor die Füße fallen und alle gegen Dich sind, auf dass ein hervorragender Thriller viel zu schnell enden wird. Auch schafft es Connelly die Handlung bis auf den Wochentag genau zu datieren, ohne dass man Angst haben muss, dass das Buch in zwei Jahren unlesbar sein wird. Unsere Hauptheldin zieht sich wie selbstverständlich die Maske hoch bevor sie die Knarre zieht, weil sie vom neuen Vakzin noch nichts bekommen hat, worüber alle ständig reden, aber gottlob ist der orange Orang Utan nicht mehr im Weißen Haus, auch wenn bewaffnete Rednecks das durch den Sturm des Parlaments gerade versucht haben zu verhindern. Man wird wohl auch in ein paar Jahren noch wissen, dass das alles im Januar 2021 gewesen sein muss. Michael Connellys Bücher sind allesamt brillant und verfallen nicht in ultramarktgerechtes literarisches Fibeltum a la "Jack Reacher am Zaun", "Bad Guy am Fenster", aber auch ohne dass man sich ein halbes Jahr Zeit nehmen müsste, deren Komplexität zu durchschauen. Verfilmt wurden einige Bände als Krimiserie auf Amazon Prime, toll photographiert, mit ph, und erstaunlich gut besetzt, mit der Ausnahme der zum Schreien untalentiert gespielten Tochter Boschs, Maggie, bei der ich einen running gag vermute, den sich das Casting erlaubt hat. Gerade Leuten, die Bosch darüber kennen, sind die neueren Bücher zu empfehlen.
Aber das war mir nicht Prokrastination genug. Podcastbedingt folge ich einigen der von uns vorgestellten Autoren auf Twitter, womit ich immer tiefer in eine Bubble obskurer Fantasiebuchempfehlungen gerate. Nun ist es gerade in diesem Genre besser in den Tiefen des literarischen Meeres zu fischen statt den immergleichen Zaubermatijes zu verschlingen, womit der Versuch eine Brücke zum Inhalt des aktuellen Schmökers zu bauen, erfolglos beendet wird. Die Trilogie, deren finaler Band soeben erschien, heißt "The Bone Ships". Die englische Autorin RJ Barker erschafft darin eine Welt nur leicht neben der unseren. Es ist eine maritime, es shantied und schunkelt, rumt und "Aye Sir”t, dass es eine Freude ist, natürlich mit den Fantasy-notwendigen Unterschieden. Da wären zunächst, dass das nicht "Aye Sir" sondern "Ey Shipwife" heisst. Die Schiffe sind nämlich männlich und aus den Knochen riesiger ausgestorbener Fische hergestellt und der Käptn hat immer das generische Femininum, hier also Shipwife. Die Mannschaft ist weiblich, männlich, divers in allen Richtungen. Der Käptn hier ist auch biologisch weiblich, ihr 1. Offizier und Erzähler männlich, da knispert noch was, denke ich. Aber, die Regel auf dem Schiff heisst "fickt, aber bekommt keine Kinder" womit das gesellschaftliche Verhältnis von Homo zu Hetero mit einem Schlag auf dem Kopf steht und auch so wird subtil bis brachial ein genderaufgeklärtes Paralleluniversum mit dem im Genre eher unüblichen grau zwischen Gut und Böse geschaffen. Einzig die Schiffe sind weiß oder schwarz, je nachdem ob auf diesen Helden schippern oder Todgeweihte und auf welchem der beiden unsere Hauptheldinnen Lucky Mea und Joron Twiner, Shipwife und Deckkeep, zusammen mit zum Beispiel Bonemaster Coxward, Hatkeep Mevans oder Deckchild Fary zur See fahren, sollte offensichtlich sein. Noch im ersten Band von "The Bone Ships" lebend kann ich sagen, dass es eines der Bücher ist, auf die man sich vor dem Schlafen gehen freut, weil man noch ein paar Seiten lesen und mit ein bisschen Glück sich im Traum ein wenig gruseln kann. Eine Empfehlung sicher mehr für Nerds, dort aber definitiv nicht nur für den phänotypisch clerasilutrabedürftigen künftigen Taxifahrer mit abgeschlossenem Philosophiestudium, sondern definitiv auch und besonders für die Systemadministratorin im Homeoffice in Saigon, die ihre Job komplett automatisiert hat und drei so ne Bände in einer Woche verschlingt.
Womit genügend empfohlen sein sollte, ob für sich allein oder Freund und Feind, um bis zur fünften Welle im Frühjahr durch zu lesen und der öden Realität anregende Phantasie entgegen zu stellen. Und falls es nicht genug sein sollte, hat Anne Findeisen in der nächsten Episode von Lob und Verriss sicher noch mehr Bücher zu empfehlen.
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13:23
Weihnachtsempfehlungen 2021
Episode in
Studio B
Wenn der Blick in den penibel geführten Sendungsplan Dir zeigt, dass die alljährliche Weihnachtsdiskussions- und Geschenkempfehlungssendung dieses Jahr am.. ähm.. Sonntag den 26.12.2021 erscheint, bemerkt selbst der pandemieverpeilteste Sendungskoordinator des Studio B - Kollektivs, dass an diesem Datum irgendetwas nicht stimmt. Nur was? Also spielt Herr Falschgold auf Nummer sicher und haut diesen Klassiker mit unserem Freund Mikis Wesensbitter raus, ein Klassiker voller blissfull-ignoranter Ahnungslosigkeit ob des kommenden Wahnsinns, aus einer Zeit der Atempause zwischen den big Ps: Pegida und Pandemie. Was waren wir glücklich.
Die Geschenktipps sind jedoch nach wie vor relevant und jetzt vielleicht sogar im Sonderangebot und immer noch in unserem Archiv verlinkt.
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01:08:26
Benjamin Black: "Christine Falls"
Episode in
Studio B
Eine Leseempfehlung vom Meister Stephen King himself auf Twitter: “Love Benjamin Black. Wish he'd write a supernatural novel. There's a sense of the weird about his detective novels, just under the surface.” Auftrag verstanden, Christine Falls verschlungen.
Christine Falls ist der 2006 erschienene 1. Roman einer mittlerweile 8 Bücher umfassenden Reihe von Benjamin Black, die im Dublin der 1950er Jahre spielt, und deren Protagonist Quirke im Hauptberuf als Pathologe arbeitet, nebenbei aber Rätsel und Kriminalfälle löst.
Benjamin Black ist ein Pseudonym des Schriftstellers und Literaturkritikers John Banville, der unter anderem für das renommierte Literaturmagazin The New York Review of Books rezensiert und für seine Werke zahlreiche prestigeträchtige Auszeichnungen wie den Man Booker Prize gewann. Dabei verabscheut er sein literarisches Werk, ist aber mit der Quirke-Reihe weniger unzufrieden, weil er an diese geringere Maßstäbe anlegt.
Mit dem Pathologen mittleren Alters Quirke begeben wir uns ins Dublin der 1950er Jahre: ewig scheint es zu regnen, die Luftfeuchtigkeit hüllt alles in Dampf, Alkohol ist allgegenwärtig, ebenso eine immerwährende Düsterheit. Die Gespräche sind knapp, mehr wird verschwiegen als geäußert. Der Pathologe ist ein - wenn noch nicht zer-, so doch ein gestörter Mann. Trotz einiger Parallelen ist er kein typischer Detective vom Schlage Philip Marlowes. Waffen fehlen, die Gewalt ist eine andere als die sonst übliche, bei der ein Colt gezogen wird und der Gegner fällt. Gewalt wird hier nicht von abseits des Gesetzes stehenden Outlaws ausgeübt, sondern von den Dienerinnen der in dieser Zeit in Irland alles prägenden, übermächtigen katholischen Kirche, die die Luft in Benjamin Blacks 1. Roman Christine Falls immer knapper werden lässt.
Zu Beginn sieht Quirke den Totenschein einer Frau, Christine Falls, der Namensgeberin des Romans und zweifelt ihn an - zu jung und gesund ist diese für die gestellte Diagnose.
Malachy, kurz Mal, sein Stiefbruder, der als Frauenarzt im gleichen Krankenhaus arbeitet, bittet ihn um Stillschweigen und darum, die junge Tote nicht zu obduzieren.
Wenig überraschend forscht Quirke nach und entdeckt, dass neben dem gefälschten Totenschein von Christine Falls auch der dokumentierte Entdeckungsort der Toten nicht stimmt. Christine Falls ist bei der Geburt ihres unehelichen Kindes verblutet, von ihrem Baby fehlt jede Spur. Quirke findet heraus, dass sie einst im Hause seines Bruders angestellt war und verdächtigt ihn, der Vater zu sein, stößt aber bei seinen Nachforschungen auf eine Mauer des Schweigens. Als er die Frau findet, in deren Haus Christine Falls ihr Baby auf die Welt brachte, bringt er sie dazu, ihm einige Details zu erzählen. Wenig später wird sie ermordet.
Gleichzeitig werden wir in eine komplizierte Familiengeschichte eingeführt, in der unter der Oberfläche viele Konflikte schwelen, die erahnbar, aber lange nicht deutbar sind. Nach und nach wird enthüllt, dass Quirke einst von Mals Vater Garrett Griffin, im Buch nur “der Richter” genannt, adoptiert und aufgezogen wurde. Vor seiner Adoption lebte Quirke in einem Waisenhaus, der Carricklea Industrial School, wo er körperlichem und sexuellem Missbrauch ausgesetzt war.
Die beiden Brüder waren während ihres Medizinstudiums in Boston, wo sie ein Schwesternpaar kennenlernten, Sarah und Delia, die sie dann heirateten. Delia starb während der Geburt von Phoebe. Quirke, unfähig, überließ seine Tochter Mal und Sarah, in die er verliebt ist. Niemand erzählte Phoebe, wer ihre wirklichen Eltern sind. All dies wird in kleinen Dosen erzählt, geraunt, angedeutet. Mehr wird über Benjamin Blacks Erzählungen des Innenlebens seiner Protagonisten sichtbar, als in einer draufblickenden Erzählung der Ereignisse. Wir sehen viele Introspektiven, ein trostloses Gefühl der Einsamkeit durchzieht das Buch.
Immer wieder tauchen religiöse Einrichtungen auf, ein Kloster, ein Haus, in dem junge schwangere, ledige Frauen arbeiten müssen. Niemand spricht mit Quirke, zunehmend wird ein grausiges Bild sichtbar: In dieser Zeit gab es in Irland ein dichtes Netz aus kirchlichen Einrichtungen, in das ungewollt Schwangere eingewiesen und zur Sklavenarbeit gezwungen wurden. Da vorehelicher Sex eine Sünde war, wurden die Kinder für “Ausgeburten des Satans” gehalten und ihnen alles verweigert. Ein Drittel der Kinder starb vor dem 1. Geburtstag an Masern, Lungenentzündung, Tuberkulose oder verhungerte einfach. Überlebende wurden ausgebeutet und brutal unterdrückt und missbraucht, immer mit der Überzeugung der Klerikalen, das Richtige zu tun. Ein Teil der Kinder wurde an kinderlose Paare, vor allem in die USA, verkauft.
Dies ist auch das Schicksal des Babys von Christine Falls, die von einem Kloster in Boston an ein junges Paar mit dem Auftrag gegeben wird, die Kleine im Sinne der katholischen Kirche aufzuziehen. Als der neue Vater Andy, ein von sich überzeugter, aber zutiefst unsicherer Mann, die sich oft in Gewalt gegen seine Frau und seine Kollegen zeigt, das Kind umbringt - er wollte nur, dass es aufhört zu schreien - wird dies als “Unfall” vertuscht. Die Kirche zeigt hier ihre Arroganz, ihr Agieren außerhalb der weltlichen Gerichtsbarkeit. Quirke muss erkennen, dass nicht nur sein Bruder, sondern auch sein Vater in den Handel mit den unehelichen Kindern tief verstrickt ist, ebenso der Vater seiner verstorbenen Frau.
Als er nach Boston kommt, findet er das Grab der kleinen Christine auf dem Grund des Klosters.
Eine Nonne, die mit ihm spricht, wird zwangsversetzt, ansonsten begegnet ihm Schweigen, aus dem die katholische Kirche ihre allumfassende Macht zieht und ihren Reichtum speist, stets sicher, für ihre Verbrechen nicht verfolgt zu werden. Das Verrückteste daran ist, dass die Nonnen und Prälaten überzeugt sind, im Recht zu sein, das Richtige zu tun. Die Auswirkungen sind fatal. Andy, der Christines Baby getötet hatte und weiß, dass er dafür nicht bestraft werden wird, sieht sein Verhalten gerechtfertigt und gerät immer tiefer in einen Strudel von Wahnvorstellungen, der in der Vergewaltigung von Quirkes Tochter Phoebe seinen schrecklichen Höhepunkt findet. Quirkes Familie ist auch ohne dieses Drama ein Scherbenhaufen: sein von ihm verehrter Stiefvater, der ihn einst aus dem Waisenhaus rettete, ist für die Schwangerschaft von Christine Falls verantwortlich, ebenso für das Verschicken des Babys in die USA. Sarah, seine Liebe, trennt sich von seinem Stiefbruder, als dessen Verstrickungen zutage treten. Phoebe, seine Tochter bricht mit ihm, nachdem er erst nach knapp 20 Jahren seine Vaterschaft eingesteht. Das Ende des 1. Romans zeigt Quirke, der zur Polizei geht, und einen Inspektor, der ihm wenig Hoffnung auf Gerechtigkeit macht.
In den 1990er Jahren begann eine verstärkte Aufarbeitung in Irland, nachdem bereits Mitte der 70er ein Massengrab entdeckt worden war, dessen Tote zunächst den großen Hungersnöten zugeschrieben wurden. Nur durch den unermüdlichen Einsatz einiger Weniger kamen immer mehr Grausamkeiten ans Licht, Überlebende brachen ihr Schweigen. Neben den unzähligen Toten und der bis heute nicht bekannten Zahl verkaufter Kinder ist die Suizidrate unter den Menschen, die in ihrer Kindheit dem katholischen Klerus in die Hände gefallen waren, laut Statistik zehnmal höher als der Landesdurchschnitt. Unzählige uneheliche Kinder, ihre Mütter, manchmal aber auch einfach Frauen, die in einem gewissen Alter noch unverheiratet waren, wurden zu Sklavenarbeiten gezwungen, geschlagen, missbraucht. Die Dichte des Netzes, mit dem ganz Irland mit Einrichtungen dieser Art überzogen war, und das durch Kirche, Polizei und Justiz geschützt wurde, löste Schockwellen aus.
Benjamin Black hat in die Quirke-Reihe zahlreiche konkrete Erinnerungen an seine Kindheit einfließen lassen. So wohnt dieser in einer Wohnung, die Black von seiner Tante geerbt hatte. Die Atmosphäre aus Angst, Unterdrückung und Schweigen entspricht seinem Gedächtnis.
Benjamin Black aka John Banville hat sich darüber in einem Interview geäußert: “Das Aufwachsen im katholischen Irland war die pure Gehirnwäsche. Wir lernten viel Unsinn und Lügen, die uns als Glaube verkauft wurden, während die Kirche im Geld schwamm und die Leute unter ihrer Aufsicht mißbrauchte. Den Priestern und Nonnen wurde die sexuelle und amouröse Liebe verweigert, was ich für abstoßend halte, ein Verbrechen. Wir wussten, dass es Missbrauch gab und wir wussten, dass es schlimm war, aber wir wußten nicht wie schlimm, bis es die Enthüllungen gab. Und wir wussten nichts über die kriminellen Machenschaften, mit denen die Kirche ihre Verbrecher beschützte, sie von Pfarrei zu Pfarrei versetzte, um alles zu vertuschen.”
Die fortwährende Macht der katholischen Kirche war auch zu spüren, als Sinéad O’Connor, die nach einem Ladendiebstahl ein Internat der Sisters of our Lady of Charity besuchen musste, und über Missbrauch berichtete, ein Bild des Papstes in Saturday Night Live Show in den USA zerriss. In der nächsten Ausgabe der Show distanzierte sich z. B. Joe Pesci von der Künstlerin und verriet, dass er sie für diese Aktion gern geschlagen hätte, weltweit gab es wütende Proteste.
Benjamin Black schreibt Christine Falls mit all diesem Wissen, aber ohne dieses als Schablone darüber zu legen. Die Gewalt wird angedeutet und gezeigt, aber mit der Selbstgerechtigkeit der katholischen Kirche, die heute nicht mehr so denkbar ist. Ein Klima des Schweigens, der Angst. Die Liebe des Autoren zu seiner Heimatstadt Dublin ist trotzdem zu spüren.
Die ersten 3 Bücher der Quirke-Reihe wurden 2014 als Miniserie für BBC One verfilmt, die ich an dieser Stelle ebenfalls empfehlen möchte. Wer an seinen Englischkenntnissen zweifeln sollte, weil sie nichts versteht: dass ging den Briten und Iren genauso. Viele benötigten ob des Genuschels Untertitel.
Während dessen ging vor einigen Tagen der deutsche Katholikentag unter dem Motto “Seht, da ist der Mensch” in Leipzig zu Ende, fast so, als würde die katholische Kirche tatsächlich ihren Schäfchen Respekt entgegenbringen. Mit dem Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche beschäftigte sich nur eine der im 640 Seiten starken Tagungskalender aufgelisteten Veranstaltungen, als Erfahrungsbericht einer Betroffenen deklariert, nicht als Kritik am System.
Es verabschiedet sich Irmgard Lumpini, den Link zum Buch findet Ihr auf unserer Website lobundverriss.substack.com. Nächste Woche diskutieren Anne Findeisen, Herr Falschgold und meine Wenigkeit die Bücher der letzten Wochen. Wer vorlesen möchte findet diese auf lobundverriss.substack.com
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10:09
Marianne Philips: Die Beichte einer Nacht
Episode in
Studio B
Als Marianne Philips 1886 in Amsterdam geboren wird, scheint ihr Leben unter einem guten Stern und der Familie viele Möglichkeiten offen zu stehen, denn der Vater betreibt erfolgreich ein Kurzwarengeschäft und die Familie gehört dadurch dem wohlsituierten Mittelstand an. Das ändert sich jedoch durch den Tod des Vaters, noch bevor sie zwei Jahre alt wird und durch das Unvermögen des Stiefvaters, die Geschäfte gewinnbringend weiterzuführen, verarmt die Familie zusehends. Als Marianne dann im Alter von 14 Jahren auch noch ihre Mutter verliert, die im Wochenbett verstirbt, wird sie damit nicht nur zum Waisenkind, sondern muss sich auch um die jüngere Halbschwester sowie das Baby kümmern. Damit übernimmt sie bereits in jungen Jahren große Verantwortung indem sie beispielsweise den Haushalt versorgt und lernt zugleich, was es bedeutet, verzichten zu müssen. Ein Leben als Schriftstellerin scheint ihr keineswegs vorgezeichnet oder gar bestimmt zu sein. Erst im Alter von 40 Jahren, nachdem sie sich bereits seit fast 20 Jahren politisch engagiert, drei Kinder groß gezogen und einen Haushalt geführt hatte, entdeckte sie die Schriftstellerei für sich.
Ihr Roman Die Beichte einer Nacht wurde in den Niederlanden bereits 1930 und in Deutschland 2021 im Diogenes Verlag veröffentlicht und ist in der, zunächst etwas ungewohnten, Form des Monologs verfasst. Die Protagonistin Leentje auch Heleen oder Leen genannt, befindet sich in einer Nervenklinik, in der sie sich eines Nachts zur Nachtschwester setzt, mit der Bitte, ihr aus ihrem Leben erzählen zu dürfen. Es wird sehr schnell deutlich, was für ein großes Anliegen es ihr ist, der Nachtschwester ihre Lebensgeschichte anvertrauen zu können, wobei es weniger darum geht, wem sie diese erzählt, sondern vielmehr um die Möglichkeit sich zu offenbaren und erstmals alles Geschehene laut aussprechen zu können.
Dabei arbeitet sie sich chronologisch an ihrer Biographie ab, beginnend bei ihrer Zeit als ältestes von 10 Kindern. Der Kinderreichtum ihrer Eltern ist für sie eine Qual, denn durch diesen wird die Kutsche niemals leer, sondern bekommt mit jedem weiteren Kind einen neuen Anstrich, was für die Familie gleichbedeutend mit Armut ist und für Leentje noch mehr Verantwortung heißt. Ohnehin kann sie nicht verstehen, dass die Eltern überhaupt noch Kinder bekommen, da sie sich nie öffentlich küssen. Entscheidend ist jedoch das letzte Kind, dass die Mutter zur Welt bringt, als der Vater bereits seit fünf Jahren gelähmt an das Bett gebunden ist: Lientje. Da die Mutter zu dieser Zeit schon älter ist und kränkelt, kann sie das Baby nachts nicht bei sich haben und so wird die Wiege in Leentjes Zimmer, neben deren Bett gestellt. Zu dieser Zeit hat Leentje die Schule bereits verlassen und arbeitet bei einer Französin als Hilfskraft in einem Nähatelier, um die Familie auch finanziell zu unterstützen.
Bereits nach kurzer Lektüre wird deutlich wie Marianne Philips auf autobiographische Themen zurückgreift. Nicht nur die Versorgung von jüngeren Geschwistern kannte sie dabei aus eigener Erfahrung, auch half sie in der Schneiderwerkstatt ihres Stiefvaters aus. Ihre Protagonistin Leentje lebt in einem Spannungsfeld von Entbehrungen, in dem sie sich für alle Dinge, die ihr geschenkt werden, bedanken muss, ganz gleich ob sie ihr gefallen oder nicht. Sie ist sich aber gleichzeitig auch ihres guten Aussehens bewusst und strebt etwas Besseres für sich an. Diese Gegensätze werden an ihrem 15. Geburtstag besonders deutlich, als sie von den älteren Näherinnen ein Kleid geschenkt bekommt, dass sie nicht von einer positiven Zukunft träumen lässt, sondern ihr ihre Armut deutlich vor Augen führt:
„Das war ich und niemand anderes, das älteste Kind aus einer Familie, die von Almosen lebte – und zugleich war mir klar, dass ich mich jetzt freuen musste. Aber das konnte ich nicht, ich freute mich nicht, sondern hatte endgültig begriffen, das Arm-sein hässlich ist.“ (S.25)
Aber Leentje gelingt der berufliche Erfolg, der auch den von ihr gewünschten materiellen Luxus für sie mit sich bringt. Zudem prägen die ersten Männerbekanntschaften ihr Leben bis schließlich hin zu einer Ehe, die jedoch nur wenige Jahre hält und weniger von Liebe als zunächst viel mehr von Bewunderung geprägt ist. Während eben dieser Ehe, die für sie zunehmend zur Belastung wird, flüchtet sie für einige Tage und reist zu ihren Eltern. Ihre übrigen Geschwister, die ansonsten im Roman keine Rolle spielen, haben das Elternhaus bereits verlassen, sind verheiratet oder gehen anderweitig ihrer Wege. Nur die Kleinste, Lientje, lebt noch bei ihnen.
Diese wenigen Tage, die Leentje intensiv mit ihrer Mutter verbringt, beschreiben ergreifend und exemplarisch die Metamorphose vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Wie Leentje als junges Mädchen bzw. junge Frau nichts anderes wollte, als der elterlichen Enge, den Pflichten und der Armut zu entfliehen. Wie sie es geschafft hat, erfolgreich zu sein und schließlich doch, in einer für sie sehr unglücklichen Lage, in eben dieses Elternhaus zurück flieht. Wie sie sich die Nähe der Mutter zurück sehnt und fast meint, nie hätte gehen zu müssen. Und schließlich weiß sie doch, „dass sich an dem, was einmal geschehen ist, nichts ändern lässt.“ (S.76) Aber die tiefgreifende Erkenntnis, wie sehr die Mutter sie schon immer geliebt hat, die sie eben erst jetzt erfassen kann und die ich als beispielhaft für das Erwachsenwerden empfinde, hat mich sehr bewegt. Überhaupt, die feinsinnigen Beschreibungen des Einander-Wahrnehmens und die Reblik auf ein Leben, mit dem Wissen vieler Jahre später, wusste Marianne Philips genau auf den Punkt zu bringen.
Leentje verlässt ihr Elternhaus mit dem Versprechen, dass sie ihrer blinden Mutter gegeben hat, die jüngere Schwester Lientje zu sich nehmen und für sie zu sorgen, wenn es der Mutter einmal nicht mehr möglich ist. Im weiteren Verlauf des Romans nimmt sie ihre Schwester dann schließlich auch bei sich auf, sie lässt sich scheiden und lernt ihre große Liebe Hannes kennen. Der Beginn dieser Liebe, der zunächst traumhaft schön ist, bedeutet letztlich den Wandel des Lebens aller Beteiligten auf einen Abgrund zu, der gleichzeitig das wichtigste Element oder Ereignis der so genannten Beichte ausmacht.
Die Beichte einer Nacht befasst sich sehr intensiv mit dem Innenleben und vor allem der Psyche seiner Protagonistin, ein Fakt, der für die Zeit der 1930er Jahre und in diesem Zeitraum entstandenen Romane keineswegs üblich war – schon gar nicht von weiblichen Autorinnen. Marianne Philips beschreibt eine Frau, die geprägt ist von dem Wunsch aus dem kinderreichen und von Armut geprägten Elternhaus auszubrechen und den sozialen Aufstieg aus eigener Kraft heraus zu schaffen. Sie wirkt dabei keineswegs bemitleidenswert sondern zielstrebig. Ihre Schönheit und ihren Sinn für Schönes nutzt sie dabei geschickt aus, um ihre Ziele zu erreichen. Sie schreckt auch nicht davor zurück, Situationen zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen, nicht ohne dabei auch selbst emotional in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Der Wunsch geliebt zu werden und das Wissen um die Vergänglichkeit von Schönheit sind es aber letztlich auch, die aus einer beinah familiären Idylle mit ihrer Schwester Lientje und ihrem Mann Hannes einen Sog aus Raserei und Wahn entstehen lassen und sowohl das Leben jedes einzelnen Beteiligten als auch ihr gemeinsames, sehenden Auges jäh beenden.
Marianne Philips Roman beeindruckt so sehr wegen seines Tiefgangs und weil er dem Lesenden die Psyche der Hauptfigur schonungslos und mit all seinen Unzulänglichkeiten und vermeintlichen Fehlern preisgibt. Dass ihr diese fast nachfühlbaren und teilweise auch beklemmenden Beschreibungen so eindrucksvoll gelungen sind, mag auch daran liegen, „dass der Roman gewissermaßen Teil von Marianne Philips' Therapie war und von ihrem Wunsch zeugt, sich selbst kennenzulernen, auch wenn das eine Auseinandersetzung mit den dunkelsten Seiten ihrer Seele erforderte.“ (S. 148) Wie wir heute von ihrer Enkelin wissen. Damit ist Die Beichte einer Nacht ein Nachspüren und Erforschen des eigenen Lebens, der eigenen Identität, der eigenen Biografie, ohne dafür – wie es der Titel vielleicht vermuten lässt – Absolution zu erwarten. Ohne es zu wissen, würde man wohl kaum darauf kommen, dass der Roman bereits vor über 90 Jahren geschrieben wurde und gerade die sehr persönlichen Erfahrungen, die die Autorin hier verarbeitet hat, machen ihn nahezu zeitlos und absolut wert, ihn auch 2021 und darüber hinaus zu lesen.
In der nächsten Woche stellt Irmgard Lumpini Sinéads O'Connors neue Autobiographie "Rememberings" vor und geht der Frage nach, was eigentlich nach dem Welterfolg der ersten Alben und dem großen Skandal des zerrissenen Papstbildes wurde.
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10:00
Taffy Brodesser-Akner: Fleishman Is in Trouble
Episode in
Studio B
Es gibt Buchcover, da kann man nicht widerstehen. So sah ich kürzlich in meiner Twitter-Timeline das Cover des ersten Buches von Taffy Brodesser-Akner, einer Journalistin unter anderem für die amerikanische Zeitschrift für den gebildeten Mann, dem Playboy für Männer mit normaler Penisgröße: "GQ". Das Cover zeigt die Silhouette Manhattans, auf dem Kopf überlagert von dem gewaltigen Titel "Fleishman is in Trouble". Ein Triggerfeuerwerk! Manhattan, schon mal cool, warum auf dem Kopf? Fleishman, namentlich vermutbar Jüdin und an des Rezensenten Pseudonym ist sicher erkennbar, dass ich ein bisschen in Juden verknallt bin, nicht dass man mir jetzt mit Semitismus kommt, ich bin auch in die Briten verknutscht, ja, in alle vier, Engländer, Schotten, Waliser, Iren ich lieb doch alle.. ok, Iren sind natürlich keine Briten, aber, in Teilen seit 1921 doch und aber bald vielleicht wieder nicht mehr, wie kann man sich nur im ersten Absatz so um Kopf und Kragen schreiben..
06:16
Die Diskussion - Rooney, Meyerhoff, Evaristo
Episode in
Studio B
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35:10
Bernardine Evaristo: Girl, Woman, Other
Episode in
Studio B
Was ist das Beste am Lesen? Das Eintauchen in andere Welten, seien sie utopisch, dystopisch, fantastisch, dokumentarisch, fiktiv, historisch, in anderen Sprachen, Sprechwelten, Denkweisen, schwer, unterhaltsam, romantisch, unser Bild der Welt bestätigend oder zerstörend, eine Öffnung für anderes durch ein Versinken oder Abgestoßensein.
Das heute hier vorgestellte Girl, Woman, Other der britischen Autorin Bernardine Evaristo beschreibt in 4 Kapiteln die Leben von 11 Frauen und einer nichtbinären Person, in jedem Kapitel werden 3 Protagonisten in den Mittelpunkt gestellt, die Kapitel tragen ihre Vornamen. Dabei stehen die meist schwarzen Frauen teilweise in familiären Beziehungen zueinander, einige verbinden gemeinsame Lebensabschnitte wie z.B. eine gemeinsame Schulzeit oder das Studium. Die meisten leben in London.
Es gibt verschiedene Zeitebenen. Eine der Protagonistinnen, die viele der Charaktere als Verbindung haben ist Amma, eine lesbische schwarze und etablierte Künstlerin, deren neuestes Theaterstück am Abend uraufgeführt werden wird. Im 5. Kapitel, nachdem Girl, Woman, Other die verschiedenen Leben, ihre Umstände und Ereignisse über nahezu 100 Jahre offenbart, finden wir uns auf der Afterparty der Uraufführung wieder.
In einem Epilog baut Bernardine Evaristo dann ein Finale in allerfeinster Soap Opera Manier.
In den einzelnen Kapiteln sehen wir die Innenansichten der Protagonistinnen, die auch ihre Haltung oder Erlebnisse mit anderen der Frauen schildern. Dadurch verschieben sich häufig Annahmen über sie, die durch in anderen Kapiteln getroffene Aussagen entstanden sind. Elterliche Prägung, Traumata, Freundschaften, Liebe, Sexualität, Gesellschaft und ihre Vorurteile, Rassismus und Aufstiegsmöglichkeiten sind einige der Themen, die immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt werden. Ein weiteres Thema, das häufig durch die Protagonistinnen diskutiert wird, ist Feminismus und ihre unterschiedlichen Ansichten über die letzten Jahrzehnte. Manchmal - zum Glück nicht oft - kommt man sich wie in einem Proseminar der Gender Studies vor, auf der anderen Seite schadet es rein gar nichts, darüber etwas zu lernen.
Als Motivation für Girl, Woman, Other gab Bernardine Evaristo, Tochter einer weißen Britin und eines nigerianischen Vaters an, dass sie frustriert war, dass schwarze britische Frauen in der Literatur nicht sichtbar sind und wollte etwas gegen ihre Abwesenheit unternehmen.
Die Leben ihrer Protagonistinnen reichen von Teenagern bis zu einer Frau in ihren 90ern, die jedoch nicht immer linear beschrieben werden.
Girl, Woman, Other ist ein Werk, dessen Welt vielen nicht bekannt ist, weil wir bisher nicht viele Gelegenheiten hatten, über sie zu lesen.
Es dauerte für mich ein wenig, bis ich mich mit dem Stil des Buches zurecht fand: es gibt kaum Punkte, der Rhythmus wird durch die Zeileneinteilungen vorgegeben, die den Fluss beschleunigen oder verlangsamen, ein Hybrid aus Prosa und Poesie.
Girl, Woman, Other unterstützt eine Verschiebung des Mainstreams, der uns, die wir in der sächsischen Provinz leben, zunächst durch Fernsehserien wie The L-Word, Sense8, Orange Is The New Black, Transparent oder Tales of the City begegnete. Durch politische Initiativen wie Black Lives Matter und metoo, die sich mit (Über)Leben und dem Weiterleben nach traumatischen Erlebnissen auseinandersetzen und bestehende Verhältnisse radikal ändern wollen, um eine gerechtere Gesellschaft für alle, die vor der Überwindung des Rassismus die Anerkennung von weißen Privilegien als Voraussetzung sehen und die Überwindung von patriarchalen Strukturen für unabdingbar halten, wird die Kunst der lebenden Bilder in konkreten Bewegungen unterstützt.
Durch beides wird die Sichtbarkeit verbreitert, unterschiedliche Lebensformen sind vorstellbarer, unterschiedliche Lebensrealitäten bekannter und tiefer im öffentlichen Bewusstsein verankert, und so werden Leben, die einst als exotisch, abweichend oder gar abstoßend empfunden wurden zum Kanon des Möglichen hinzugefügt, der Mainstream verschiebt sich nicht nur, sondern wird verbreitert.
Dabei ist die Frage nach der Zugehörigkeit zum Mainstream eine, die nicht wenige der Protagonisten in Girl, Woman, Other beschäftigt. Ist sie als Ausverkauf an das Establishment ein Verrat oder kann sie ein Erfolg sein? Die Protagonistinnen finden unterschiedliche Antworten.
Bernardine Evaristo, die den Titel einer MBE verliehen bekam und in Großbritannien eine bekannte und renommierte Autorin ist, sprach in einem Interview kurz nach der Wahl von Trump zum Präsidenten der USA ihre Vermutung aus, dass in der Zukunft mehr Bücher geschrieben würden, die sich entweder satirisch mit ihm auseinandersetzen oder aber eine solidarische Gesellschaft zum Thema hätten.
Girl, Woman, Other ist der letzteren Kategorie zuzuordnen. Vor wenigen Tagen wurde dem Werk, welches nicht in deutscher Übersetzung* vorliegt (wie übrigens bisher keines der 9 Bücher von Bernardine Evaristo), der diesjährige Booker Prize zuerkannt, den seit 50 Jahren der von einer Jury ausgewählte beste englischsprachige Roman des Jahres erhält. Sie ist die 1. schwarze Frau, die damit ausgezeichnet wurde. Kritik gab es vor allem dafür, dass sie sich diesen Preis mit einer anderen teilen musste: Margaret Atwood, die für die Fortsetzung ihres Romans “The Handmaid’s Tale”, “The Testaments” prämiert wurde. Auf den Fotos der Ausgezeichneten sehen beide glücklich aus, wie eine Reminiszenz an den Schluss von Girl, Woman, Other:
“this is about beingtogether.”
* Mittlerweile liegt eine deutsche Übersetzung mit dem unschönen Titel “Mädchen, Frau etc.” vor. (WTF?! Other ist nicht etc.)
In der nächsten Ausgabe wird diskutiert, wie immer schön ruhig.
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06:11
Joachim Meyerhoff: 'Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke'
Episode in
Studio B
Als ich im Sommer Joachim Meyerhoffs Buch Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke geschenkt bekam, war mir der Autor bis dato gänzlich unbekannt. Ein Blick ins Internet genügte, um herauszufinden, dass es sich bei Joachim Meyerhoff nicht nur um einen Schriftsteller, sondern auch Regisseur und in der Hauptsache Schauspieler handelt. Mit seinem 2015 im Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlichten Roman, befinden wir uns bereits im dritten Band seiner Reihe: Alle Toten fliegen hoch.
In diesem beschreibt er autobiographisch seine Zeit, in der er, für ihn selbst überraschenderweise, auf der Schauspielschule in München angenommen wurde und sein damit verbundenes Zusammenleben mit seinen Großeltern in deren Villa, in der Nähe des Nymphenburger Parks. Das sogenannte rosa Zimmer im großelterlichen Haus bezog er in Ermangelung einer eigenen Wohnung und es sollte ursprünglich nur übergangsweise als Wohnstätte dienen, wurde aber schließlich zu seinem zu Hause, während seiner gesamten Schauspielausbildung.
Bereits im ersten Kapitel des Buches, welches den Titel Fünf Etappen trägt, wird dem Leser sehr eindrucksvoll der Alltag von Großmutter Inge und Großvater Hermann, der von Ritual, Disziplin und Skurrilität geprägt ist, geschildert. Bei den fünf Etappen handelt es sich um Getränke, deren Einnahme den Tag strukturieren. Punkt neun Uhr morgens beginnen sie ihren Tag mit einem Glas Champagner, wodurch es ihnen, wie Meyerhoff uns wissen lässt, gleich viel besser geht. Punkt ein Uhr zum Mittagessen folgt der Weißwein, es schließt sich der Sechs-Uhr-Whiskey an, dem Rotwein und geistreiche Konversation zum Abendessen folgen. Abgerundet und das Ende des Abends einläutend, gibt es schließlich Cointreau. Dieser, den Großeltern scheinbar nichts-anhaben-könnender, täglich aufs Neue stattfindende Konsum und Rausch, setzt Joachim, oder Lieberling, wie ihn die Großmutter gerne nennt, zunächst noch zu.
„Am nächsten Morgen, Punkt halb acht klopfte meine Großmutter an meine Tür, um mich zu wecken. Sie sah wie immer blendend aus, duftete nach »Shalimar«. Auch mein Großvater sah zu mir herein, frisch wie nach drei Wochen Urlaub in den Bergen. Nie sah man ihnen an, dass sie so viel tranken. Doch ich war wie krank. Todkrank. Und dann ging alles wieder von vorne los. Oft hörte ich, während ich meinen Kopf kaum vom rosa bezogenen Kopfkissen hochbekam, wie unten die barfüßige Haushälterin schon wieder den Korken aus der Champagnerflasche knallte. Nie war ich so zerrüttet wie nach ein paar Tagen bei meinen Großeltern.“ (S.33/34)
Das Zusammenleben mit Großmutter Inge, einst selbst erfolgreiche Schauspielerin und durch einen schweren Unfall, nicht nur ihres ersten Ehemanns, sondern auch einen Teil ihre Beins beraubt und Großvater Hermann, seines Zeichens Philosoph und von besonderer Akribie geprägt, steht im völligen Gegensatz zu seiner Ausbildung an der Schauspielschule. Sich selbst fragend, wie er die Aufnahmeprüfung bestehen konnte und ob er überhaupt Schauspieler werden möchte, hangelt sich Meyerhoff durch seine Ausbildung, stets in dem Gefühl, die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllen zu können, überzeugt davon, nicht einmal das Probehalbjahr zu überstehen, auf der Bühne stehen und nicht gesehen werden wollend und glücklich, es bis zum Sechs-Uhr-Whiskey wieder in den Schutz des großelterlichen Hauses zurück geschafft zu haben.
„Nur bei meinen Großeltern schloss sich allabendlich die Lücke und ihre Vertrautheit und Zugewandtheit, ihr aus Hochprozentigem geknüpftes Netz fingen mich sicher auf.“ (S.136)
Neben diesen gegensätzlichen Welten, in denen sich der Protagonist bewegt, gibt es auch immer wieder Rückblicke, sei es in das Leben der Großeltern, der Mutter oder sein eigenes. Auch der Verlust ist ein entscheidendes Thema im Roman, angefangen beim Tod des mittleren Bruders, der eine entscheidende Lücke in Joachim Meyerhoffs Leben zurücklässt. Und doch ist die Trauer um ihn etwas, an dem er sich festhalten kann und die ganz und gar ihn selbst widerspiegelt. Das Lesen des Buches war für mich ein Wechselbad aus Heiter- und Traurigkeit. Hier und da hat mich Meyerhoffs Art des Erzählens an Heinz Strunk erinnert, der es ebenfalls versteht, etwas eigentlich zutiefst Trauriges so zu schildern, dass man nicht anders kann als zu lachen. Hierfür möchte ich das Buch noch einmal selbst bemühen und eine Szene aus der Trauerfeier des Großvaters zitieren:
„Danach saßen Verwandte, Freunde und die Familie im Haus der Großeltern zusammen, und meine Mutter fragte plötzlich in die eher ratlose Stille hinein: »Was waren eigentlich Hermanns letzte Worte?« Meine Großmutter überlegte. Aber meine Mutter hatte die Frage eher an sich selbst gerichtet, denn schon nach Kurzem sagte sie zu meiner Großmutter: »Er hat doch deine Hand gehalten und geflüstert: >Alles ist gut, Inge!
07:38
Sally Rooney: Conversations with Friends
Episode in
Studio B
In der Reihe "Herr Falschgold liest von Dingen, die ihn eigentlich einen Scheiß interessieren" ging es letztens um superreiche mittelalte New Yorker in Scheidung. Und wie es sich für eine beginnende Sucht gehört, braucht es Steigerung, hier und heute also das Thema: "Bisexuelle Anfangzwanzigjährige in Dublin", so sollte es kommen.
Sally Rooney, Jahrgang 1991, ist das aktuelle Wunderkind der englischsprachigen Literaturszene und ihr Debütroman aus dem Jahr 2017 heißt "Conversations with Friends". Schon dieser aschgraue Titel sagt uns selbstbewusst, dass man es nicht auf einen Platz in den Bestsellerlisten anlegt, aber wenn es denn so kommen sollte, ist er durch den Inhalt gerechtfertigt und nicht durch irgendwelche Marketing-Titeltricksereien.
Auch der Anreisser, der da lauten könnte: "Frances ist eine 21-jährige Dubliner Literaturstudentin und Poetin und wird uns auf ein paar hundert Seiten von ihrer ersten Liebe erzählen" taugt oberflächlich eher für die Bahnhofsbuchhandlung, aber Halt, Halt, Halt, Moment! Noch nicht abschalten!
Was ihre erste Liebe sein wird, werden wir erst am Ende erfahren, zunächst wird sie zusammen mit Bobbi, einer gleichaltrigen Kunststudentin, mit der sie gemeinsam ihrer Gedichte auf Spoken-Word-Abenden vorträgt nach einem solchen auf ein paar Gläser Wein zu Melissa eingeladen, einer Fotografin und Essayistin, deutlich älter, fast 40. Diese möchte einen Artikel schreiben über die Beiden. Ihr Mann, ein ganz unglaublich gut aussehender, mittelmäßig erfolgreiche TV-Schauspieler, kommt kurz in die Küche, in der die drei sitzen, füttert den kläffenden Cockerspaniel, nimmt sich ein Flasche Bier aus dem Kühlschrank, wechselt ein paar Worte und geht wieder ab.
Frances, Hauptheldin und Ich-Erzählerin gehen an diesem Abend, wie an jedem, ja wie in jedem Augenblick ihres jungen Lebens, so ein paar Sachen durch den Kopf.
Da ist natürlich Nick, der Hund fütternde Ehemann von Melissa, so unglaublich gut aussehend. Dann ist da Bobbi, ihre Poetry Slam Partnerin, mit der sie mal was hatte mit 17, damals in der katholischen Schule, die sie gemeinsam besucht haben, und von der Melissa, die erfolgreiche Fotografin, ganz verzückt scheint. Dazu die Wohnung, ziemlich posch, mit Wintergarten, perfekter Küche mit Mittelinsel und mehreren Sorten Wein im Kühlschrank. Frances kommt aus bescheidenen Verhältnissen und ist, oder wird von ihrer Freundin erklärt zur: Kommunistin. Bobbi ist eher, sagen wir, Anarchafeministin und nebenbei die, nach Meinung Frances, deutlich Schönere der beiden.
Die drei Frauen unterhalten sich, Melissa fotografiert ein wenig, das ist alles, was passiert.
Die Szene braucht nur ein halbes dutzend Seiten um in unserem Kopf ein Bild von unrealer Detailliertheit zu zeichen, vom Charakter der Anwesenden, dem Raum, in dem sie sich befinden, ihrer Aufstellung in diesem, räumlich und charakterlich. Es klingt nach nichts, es geht auch um wenig. Es ist als Rezensent kaum beschreibbar, was daran so atemberaubend gut ist, aber man möchte folgende Gesichter gerne gesehen haben:
Das zufriedene von Sally Rooney beim Strg-S drücken;
Das erstaunte des den Posteingang bearbeitenden Lektors im Verlag, der das Buch erstveröffentlichen wird;
Meines und jeden anderen nicht Chick-flick-lesenden mittelalten Mannes wie er leise "Wahnsinn" brummelt.
Die Henne/Ei-Frage des Literatur-, ja des Kunstbetriebes lautet: "Ist es gut, weil alle es gut finden oder weil es gut ist?" und so wie das Henne/Ei Problem ist es nur oberflächlich eine schwer zu beantwortende: Natürlich war das Ei zuerst da, denn wie es hartschalige Eier gab, lange bevor Hennen diese aus ihren Kloaken pressten, gab es hervorragende Literatur junger Autorinnen, lange bevor diese Ernst genommen wurden.
Dass mit Rooneys "Conversations with Friends" etwas literarisch wirklich Bedeutendes vor einem liegt, dazu braucht der halbwegs interessierte Leser wirklich nur das erste Kapitel. Warum das so ist, ist aber eine Erörterung wert:
Ohne den Deckel vom faulig blubbernden Topf des "Literatur" versus "einfach gute Bücher" komplett zu lüften, igitt-igitt, geht es bei Literatur für mich tendenziell um gute Sprache. Klar, Story ist wichtig, aber Kunst passiert, wenn Unaufregendes gut erzählt wird, nicht wenn Spannung dich den Kindle erst nachts um drei aus der Hand fallen lässt.
Was "gut erzählt" meint, geht nun komplett ins Subjektive. Für Anne Findeisen darf es ruhig leise schwurbeln, für mich ist es eher das reduzierte Stellen von Worten und plötzlich macht es "Wow, magic". Das was Kafka (oder in der englischsprachigen Literatur sagen wir Hemingway) so machen: einfache, konzise Sprache, Reduktion und Präzision.
Seltsamerweise, für mich und mein lobpreisendes Urteil des Romans, finden wir diese Reduktion bei Sally Rooney nur bedingt. Die Sprache ist einfach, aber konzis ist sie nicht. Auch Ideenreichtum kann man "Conversation with friends" nicht vorwerfen, ich spoilere nicht zu viel, wenn ich verrate, dass es vor allem darum geht, dass alle vier vorgestellten Personen miteinander mindestens ein bisschen rumschnackeln.
Was Rooney und ihre Ich-Erzählerin Francis jedoch haben und wo man innerhalb weniger Seiten weiß, dass das groß ist: Beobachtung, die Fähigkeit das zu Beobachtende zu beschreiben und, das Wichtigste dabei, auszuwählen, was man beschreibt.
Ob es Objekte, Begegnungen oder Gefühle sind: Francis, als Erzählerin und damit Sally Rooney als Autorin beobachtet und reflektiert, als wenn es kein Morgen gäbe. Sie kennt kein Detail, welches es nicht zu berichten gäbe um einen Raum, eine Handlung oder ein Gefühl zu beschreiben. Und da es natürlich viel zu viele Details sind, die es während einer Stunde Gespräch zwischen vier potentiellen Liebhabern in der ersten Szene eines Buches zu berichten gibt, ist es am Ende doch die Kunst der Reduktion, die Auswahl der minuskülen Gesten, Schattenwürfe oder Hintergedanken, die dem Leser zu berichten sind, um ihm ein Bild zu geben.
Und hier ist Sally Rooney einfach unglaublich in ihrer Treffsicherheit, zumal für eine 25jährige.
So denkt man und wenn man fertig ist mit "Conversations with Friends" hinterfragt man genau diesen Satz. "Für eine 25-jährige". Was soll das?
Ein Satz, der angebracht sein kann bei der Sicht auf ein Verhältnis, auch hier nochmal ohne großen Spoiler, zwischen den schönen 40jährigen und halb-so-alten Studentinnen.
Aber muss eine Anfangzwanzigjährige Autorin ungeschliffen und blind sein? Oder vergessen wir nur zu schnell, wie viel wir alle im Kopf hatten, zu einer Zeit, in der wir drei Biere brauchten um durch den Abend zu kommen?
Das Leben einer Zwanzigjährigen Studentin ist im Allgemeinen aufregender als für den doppelt so alten Schauspieler, da kann er noch so den Sommer in einem Haus in Frankreich verbringen. Es in Worte zu fassen braucht nicht mehr als ein Quäntchen Talent, Enthusiasmus für dieses und der Rest ist sich hinzusetzen und den Quark aufzuschreiben. Warum soll das eine Zwanzigjährige nicht so hinbekommen, dass ein gerne deutlich älteres und weiseres Publikum das toll findet? Im Gegenteil, so wie der vierzigjährige Schauspieler Nick im Buch schätzen wir, als Leser, Francis nicht wegen ihrer Weisheit, sondern wegen ihres Blickes auf die Welt und lieben sie für die schonungslose Beschreibung ihrer Gefühle und wie sie das macht, ohne uns mit teenagerhaftem Gesäusel zu nerven, aber auch ohne die selbstmitleidige Rückschau einer "gestandenen" Schriftstellerin auf ihre Jugendsünden. Es ist so authentisch, was Francis uns erzählt, das so alte unsentimentale Säcke wir Herr Falschgold sich plötzlich erinnern, wie das war, als man vor Liebeskummer kein Mensch mehr war sondern ein fehlerhaftes Produkt, wie ein Staubsaugerroboter, der in der Zimmerecke hängt bis eine liebreizende Putzfrau kommt, einen hochhebt und zurück in die Mitte des Lebens setzt, auf dass man weiter zynisch der Menschen Unsinn wegkommentiere. Und damit man an diesem Unsinn nicht verstopft, gibt es auf der Welt Sally Rooneys und deren Erstlingswerke, die man liest und die Welt wird für einen kurzen Moment klar und rein oder kurz: brillant!
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