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Studio B
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Literaturkritik und Themen, die uns bewegen lobundverriss.substack.com
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Die Diskussion - King, Price, Rosling
Episode in
Studio B
Extrem harmonisch ging es zu, als Irmgard Lumpini, Anne Findeisen und Herr Falschgold die Werke der letzen Wochen noch einmal verbal Revue passieren ließen als da wären: Stephen King mit “Billy Summers”, “Der rote Faden” von Rosie Price und “Factfullness” von Hans Rosling. Und weil das allen Beteiligten ein bisschen peinlich war, haben sie sich am Ende kurz wegen, jawoll!, Corona in die Haare bekommen. Aber nur kurz.
In der nächsten Woche bespricht Herr Falschgold sein zweites Buch von Sally Rooney und wird damit zur offiziellen Expert*in für Sozialismus, Frauen und Gedöns.
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53:56
Hans Rosling (mit Ola Rosling & Anna Rosling Rönnlund): 'Factfulness: Ten Reasons We're Wrong About the Worl.
Episode in
Studio B
Vor einigen Wochen las ich eine Meldung, dass Bill Gates, seines Zeichens einer der reichsten Männer der Welt, der zusammen mit seiner Frau Melinda Gates Malaria und Kinderlähmung abschaffen möchte, im nächsten Jahr allen College-Absolventen in den USA ein Buch schenken wird, dass den Titel “Factfulness: Ten Reasons We're Wrong About the World And Why Things are better than you think” trägt. Hierzulande, wo Optimismus oft als die Abwesenheit von relevantem Wissen angesehen wird, trägt es den der Gesellschaft angepassten Titel “Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist”. Ganz so, als ob die deutschen Verleger gefürchtet hätten, dass ein Buchtitel trotz seines Welterfolgs unter den miesepetrigen und besorgten Bürgern keine Chance hätte, wenn er gleich auf dem Cover mit der Botschaft “Die Welt ist besser als du denkst” aufwarten würde.
Hans Rosling, der 1948 in Schweden geboren wurde und 2017 verstarb, war ein Mediziner, der auch Statistik studiert hatte und gemeinsam mit seinem Sohn Ola Rosling und dessen Frau Anna Rosling Rönnlund die Stiftung gapminder gründete und leitete, deren Ziel es war und ist, eine auf Fakten beruhende Sicht auf die Welt zu fördern und dabei ausschließlich frei zugängliche öffentliche Statistiken zu verwenden.
Große Berühmtheit erlangte er durch seine Auftritte bei den TED Talks, in denen er in schlecht geschnittenen Jackets mit einem überlangen Zeigestab Lacher erzielte und seine Zuhörer schockierte, indem er Multiple Choice Fragen stellte, die auf ein allgemeines Verständnis der Verfasstheit der Welt zielen und in absurder Höhe falsch beantwortet werden; unabhängig davon, ob er vor Studenten sprach oder vor den sogenannten World Leadern in Davos. Letztere müssten es eigentlich wissen und schneiden auch etwas besser ab. Trost spendete Hans Rosling mit der überraschend gut, weil die Unwissenden zum Lachen bringenden gewählten statistischen Vergleichsgruppe, den Schimpansen. Da sie die Fragen eher wenig verstehen, gelingt ihnen bei jeweils 3 Antwortmöglichkeiten die Auswahl der richtigen Antwort zu immerhin 33%. Damit schneiden sie jedes Mal besser als die befragten Menschen ab.
Hans Rosling spricht - zu Recht - von einer verheerenden Ignoranz seiner Zuhörer gegenüber der eigentlichen Weltlage. In seinem Weltbestseller “Factfulness” zitiert er viele Statistiken, zeigt Entwicklungen und Vorurteile, die sich hierzulande, wie im Rest der sich als “entwickelt” - in Abgrenzung zur sich “als entwickelnd” wahrgenommenen Welt, als äußerst hartnäckig erweisen. Er benennt Ursachen und - dies scheint mir neben seinem aufklärerischen Ansatz die Überzeugungskraft seiner Arbeit auszumachen - erhebt sich dabei nie über die noch nicht Aufgeklärten, schreibt und spricht mit einem zutiefst emphatischen und humanistischen Ansatz, der stets Verständnis für das Einzelschicksal zeigt, dessen Schwere verstörend sein kann, das aber nichts daran ändert, dass die Welt eine bessere ist, als wir im Allgemeinen glauben.
Eine augenöffnende Leseerfahrung, die tatsächlich das eigene Bild der Welt korrigiert und in Gesprächen und Streits mit Freunden, Familie, Stammtisch und Kollegen helfen wird. Ein Buch, dessen Empfehlung den Bildungsauftrag unseres kleinen Lokalsenders coloRadio für die ganze Dekade erfüllt: lest “Factfulness”! Obwohl ein Bestseller, ist der Titel der automatischen Rechtschreibkorrektur noch nicht bekannt, die ihn gern in Tactfulness ändern möchte.
Es ist ein Verdienst Hans Roslings und seiner Kollaborateure, tatsächlich taktvoll vorzugehen, wenn er nach und nach so ziemlich jede als sicher geglaubte Annahme widerlegt. Wie aber kommt es zur von ihm als “verheerend ignoranten” Weltsicht?
Wir wachsen in bestimmten Gegebenheiten auf, die unseren Blick auf die tatsächliche Verfasstheit der Welt mit voreingenommenen Sichtweisen vernebeln. Wir lernen von Lehrern, deren Ansichten sich nicht gemäß den Veränderungen und Umschwüngen anpassen und mit Lehrmaterialien, die aufgrund von fehlenden Praxen und Prioritäten viel zu selten aktualisiert werden. Kurz, wir lernen die Welt kennen, wie sie vor 50 Jahren war, nicht, wie sie tatsächlich ist, und beantworten Fragen wie z. B.: Wie ist das weltweite Einkommen verteilt? Wie schnell und wo wächst die Bevölkerung der Welt? Wie ist die Entwicklung der Kindersterblichkeit? Was sind die häufigsten Todesursachen? Wieviel Prozent der Weltbevölkerung sind geimpft? oder Wieviel Prozent der Mädchen weltweit genießen die gleiche Schulbildung wie Jungen? immer und immer wieder falsch.
Eine der bedeutendsten Fehlannahmen ist die Überzeugung, dass die Welt eine duale ist: auf der einen Seite die entwickelte, den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt anführende Welt, wie wir sie in Nordamerika und Europa und einigen weiteren Staaten vermuten, auf der anderen Seite die sich entwickelnde Welt, also den ganzen großen Rest. 1975, also vor mehr als 40 Jahren, war dies tatsächlich noch so. Die Einkommensverteilung zeigte 2 große Buckel: den größeren für den Teil der Weltbevölkerung, die mit weniger als 1 Dollar pro Tag auskommen musste und den weit kleineren Teil, die bis zu 100 Dollar am Tag zur Verfügung hatte. Diese Welt gibt es nicht mehr: Hans Rosling zeigt, dass die Verteilung des Einkommens weltweit längst der Normalverteilung entspricht: nur noch ein geringer Anteil der Weltbevölkerung lebt in absoluter Armut und muss sein Leben dem Überleben widmen, ebenso ist der Anteil der Superreichen - und dies ist ein Fakt, der uns wiederum bekannt ist - sehr gering. Aber der Großteil der Weltbevölkerung gehört inzwischen zur Mittelschicht, die sich dadurch auszeichnet, dass genügend Essen und Elektrizität zur Verfügung stehen, alle Heranwachsenden eine Bildung erhalten, in überwiegender Zahl geimpft und nicht durch Masernepidemien bedroht sind.
Dies wird nur zögerlich durch Weltorganisationen adaptiert, auch wenn Hans Rosling einen Großteil seiner Zeit dafür verwandte.
Unsere zweigeteilte Weltsicht ignoriert dies, da es auch wesentlich einfacher und evolutionär begünstigt wird, die Welt in 2 Teile, in Arm und Reich, in den Westen und den Rest, in Freund und Feind zu teilen.
Die Entwicklung, für die ich hier nur ein Beispiel nennen möchte, ist eine andere: reiche Konsumenten, für deren Einordnung das Kriterium gewählt wird, dass sie sich eine Flugreise für ihre Ferien leisten können, kamen 1975 nur zu 30% außerhalb von Europa und Nordamerika, heute sind es bereits 50%. Legt man Voraussagen des Internationalen Währungsfonds zum Bruttoinlandsprodukt zu Grunde, werden 2035 73% der reichen Konsumenten außerhalb des von uns als der “reichen Welt” empfundenen Länder kommen.
Auf die Frage, wie ein Umgang mit diesen Fragen gestaltet werden soll, wird eine einfache Antwort gegeben: Zuerst messen, dann handeln.
In “Factfulness” werden die häufigsten Irrglauben benannt und Faustregeln erläutert, wie die Welt heute aussieht und wie man mit seinen Vorurteilen und - fast noch bedeutender - Ängsten, aber auch mit Meldungen umgehen kann:
1. Alles wird schlechter ist schlicht falsch, (fast) alles wird besser.
2. Die Welt ist in arm und reich geteilt. Falsch: es gibt einen Auswuchs in der Mitte, in dem sich die Einkommen der meisten Menschen befinden.
3. Zuerst müssen die Leute sozial “aufsteigen”, damit die größten Herausforderungen wie die Abschaffung der Kindersterblichkeit, Schulbildung, Elektrizität, Impfungen und ähnliches für alle gemeistert werden können. Wieder falsch, das ist schon passiert, denn nur noch ein geringer Teil lebt in der sogenannten absoluten Armut.
4. Sachen, die einem persönlich besonders gefährlich erscheinen, wie z. B. Haie, Terrorismus oder die Gefahr von Erkrankungen des eigenen Kindes, wenn man es impfen lässt, spielen in globalen Statistiken eine verschwindend geringe Rolle, auch wenn sie für das Individuum bei ihrem Auftreten gefährlich sein können.
Hans Rosling, dem sein Privileg in einem Sozialstaat aufzuwachsen, sehr wohl bewusst war und der während seines Lebens einen großen Aufschwung seines Heimatlandes Schweden erlebte, verteidigt diesen und staatliche Programme zur Bildung und Gesundheitsversorgung als Pfeiler einer Welt, die sich weiter zum Besseren wandeln wird, wenn die zunehmende Individualisierung und große Ignoranz der reichsten Einkommensschicht, die sich ausschließlich in Europa und Nordamerika findet, sich gegenüber den Fakten und den daraus gewonnenen Statistiken nicht verschließt. Es ist eines der Symptome unserer Zeit, dass sich einige wenige Superreiche diesen Aufgaben verschreiben, während die Neoliberalisierung immer noch zunimmt und diese Probleme und Herausforderungen, für die unsere Steuern vorrangig verwendet werden sollten, aus ihren Stiftungsgeldern bezahlt. Und trotzdem: Things are better than we think.
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08:54
Rosie Price: Der rote Faden
Episode in
Studio B
„Je mehr Leichtigkeit und freudige Momente man hat, desto dunkler kann man gehen.“ Das ist ein Gedanke bzw. eine Idee, die Rosie Price beeinflusst haben soll, ihren Roman Der rote Faden, der 2020 im Rowohlt Verlag erschien und 2019 im Original unter What Red Was veröffentlicht wurde, zu schreiben. Es ist ihr Debütroman der in England, woher sie auch selbst stammt, begeistert aufgenommen wurde und auch in Deutschland sehr viele positive Kritiken erhielt. Rosie Price hat mehrere Jahre in einer der größten englischen Literaturagenturen gearbeitet, bevor sie sich vollständig dem Schreiben des Romans widmete. Das Thema des Romans, so erfährt man unausweichlich, wenn man sich im Vorhinein über das Buch informiert, soll eine Vergewaltigung sein. Ist es auch. Aber es ist eben auch noch wesentlich mehr als das.
Kate und Max lernen sich zu Beginn des Romans durch einen Zufall auf dem Campus kennen und werden schnell zu Freunden. Sie studieren beide Sprachen und haben eine Leidenschaft für Filme, was in Max' Fall auch dadurch bedingt ist, dass seine Mutter Zara eine bekannte Regisseurin ist. Kate wiederum möchte gern einmal selbst zum Film und bewundert Zara nicht nur für ihre Arbeit, sondern auch als Mensch. Durch die sich entwickelnde Freundschaft der beiden Protagonisten, die ein tragendes Element des Romans bildet, kommt es bald dazu, dass Kate Max' Familie kennenlernt. Nicht nur Max' Mutter, mit der sie sich schnell anfreundet, sondern auch seine Schwester Nicole, seinen Vater William und seinen Cousin Lewis.
Etwas weniger als das erste Viertel des Romans, welcher aus 49 Kapiteln besteht, hat eine eher langsame Erzählgeschwindigkeit. Price entwickelt auf diesen ersten 100 Seiten einen wichtigen Teil der Geschichte, die sich zunächst völlig unabhängig vom Plot der Vergewaltigung entwickelt und dennoch von großer Wichtigkeit ist. Die Leserinnen und Leser erfahren, dass Max' Großmutter Bernadette stirbt und sich die Geschwister William, Alasdair und Rupert nun um die bevorstehende Beerdigung und den Nachlass – das Haus der Großmutter – kümmern müssen, welches sie allerdings nur William und Alasdair vererbt hat. Der Handlungsstrang um Max' Familie, die geprägt ist von ihrer Vergangenheit, Erbstreitigkeiten, Ruperts Alkoholabhängigkeit und Unverständnis der verschiedenen Beteiligten untereinander, nimmt einen wichtigen Teil des Romans ein. Sie wirkt beinahe wie eine autonome Geschichte im Roman, verdeutlicht aber letztlich das Verhältnis, die Fragilität und die Zerwürfnisse der einzelnen Handelnden untereinander. Besonders beeindruckt hat mich dabei Price’ Darstellung der Beziehung zwischen Max und dessen Onkel Rupert, der nicht nur unter einem Alkoholproblem leidet, sondern aufgrund dessen schon mehrfach Unfälle hatte, bis hin zu einem Selbstmordversuch. Ganz subtil und langsam beschreibt sie das Sich-Annähern und wieder Voneinander-Entfernen, während ihr Verhalten teilweise kongruent ist, nur zu unterschiedlichen Zeiten und ihnen ein Zugang zueinander dadurch, zumindest zeitweise, nicht möglich ist.
Neben der tragenden Freundschaft zwischen Kate und Max sowie dessen Familiengeschichte, ist die Vergewaltigung von Kate, durch Max' Cousin Lewis auf einem Sommerfest, das dritte wichtige Element des Romans, das den Fortgang der Geschichte zu beschleunigen scheint. Kate leidet von diesem traumatischen Erlebnis an unter Panikattacken, Depressionen und dem Drang sich selbst zu verletzen. Sie trinkt Alkohol und nimmt starke Medikamente, um am „normalen“ Leben einigermaßen teilhaben zu können. Durch den Schmerz, den sie sich selbst zufügt, versucht sie den Schmerz der Erlebnisse zu überdecken. Rosie Price beschreibt dies in einer Schonungslosigkeit und gleichzeitig mitfühlenden Art, dass man als Leserin, im wahrsten Sinne des Wortes, Mitleid empfindet und die körperlichen Qualen der Protagonistin geradezu spüren kann. Kate ist außerdem außer Stande sich ihrem Umfeld, selbst ihrem besten Freund Max, mitzuteilen. Wochenlang schweigt sie über das Erlebte, unternimmt mehrfach den Anlauf sich zu offenbaren und verliert dann doch in letzter Sekunde den Mut, sich anzuvertrauen. Lange Zeit schafft sie es „nur“ andeutungsweise nach außen preiszugeben, dass sie etwas belastet.
„Kate wurde schnell klar, dass sich nicht sanft vermitteln ließe, dass sie vergewaltigt worden war. Es ließ sich nicht durch die Blume sagen, und weil es zwischen einer Vergewaltigung und keiner Vergewaltigung keine Grauzone gab, gab es auch keine Möglichkeit, vorsichtig vorzufühlen und ihren Zustand nur anzudeuten, um die Reaktion von jemandem abzuschätzen, dem man sich vielleicht anvertrauen könnte. Es gab nur vergewaltigt oder nicht vergewaltigt.“ (S. 118)
Und so hofft sie, dass das Geschehene von selbst immer kleiner wird und es sich irgendwann unausgesprochen in Luft auflösen wird.
An dieser Stelle offenbart sich eine Problematik, die wir in diesem Zusammenhang schon oft gehört haben und der wir deshalb nicht weniger Beachtung schenken sollten: die Angst der Betroffenen nicht ernst genommen zu werden. Die Unterstellung der Täter, die Frauen hätten es selbst gewollt. Und die Schuldzuweisungen der Opfer an sich selbst, sich nicht genug gewehrt oder nicht laut genug geschrien oder nein gesagt zu haben. Doch die Autorin stellt Kate eine Vertrauensperson, eine Verbündete, eine Leidensgenossin an ihre Seite: Zara, zu der Kate eine freundschaftliche Beziehung pflegt, scheint zu spüren – zu wissen – welches Geheimnis Kate umgibt. Sie ist schließlich auch die erste, der sie sich anvertraut und es stellt sich heraus, dass auch Zara als junge Frau vergewaltigt wurde. Was Kate jedoch verschweigt, ist die Tatsache darüber, wer ihr Vergewaltiger ist. Zwar schafft sie es nach und nach sich auch anderen Menschen zu offenbaren, doch viele Details behält sie für sich. Sie schützt sich damit nicht nur selbst, sondern auch ihre Freundschaft zu Max, seine Familie und leider letztlich auch den Täter.
Doch wie kann das Leben nach einem so tiefgreifenden und einschneidenden Eingriff weiter gehen? Price stellt hier zwei Beispiele gegenüber. Kate, die nach und nach über das Erlebte spricht und versucht weiter zu leben, sich wieder einen Alltag zu erschaffen, Arbeit zu finden – was sie nicht zuletzt auch Zara zu verdanken hat – und sogar wieder eine Beziehung führt. Und Zara, die ihre Vergewaltigung verschwieg, nicht als Opfer gesehen werden wollte und letztlich nie die Chance hat ihren Vergewaltiger zumindest zu konfrontieren, weil er tot ist. Die Autorin, Rosie Price, die selbst Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, nutzt den Roman zur Aufarbeitung ihrer eigenen Erfahrungen, dem Nachspüren inwiefern dieses traumatische Ereignis sie selbst und ihre Sichtweise verändert hat, aber sie beleuchtet auch Möglichkeiten im Umgang mit dem Erlebten sowie deren mögliche Vor- und Nachteile. Dabei schließt sie auch das Umfeld des Opfers mit ein und zeigt, wie viele Menschen letztlich betroffen sind und dass das Problem kein ausschließlich privates ist, sondern ein gesellschaftliches.
Der titelgebende rote Faden ist dabei nicht nur das offensichtliche Thema, das sich durch den Roman zieht und ihn bestimmt, sondern vor allem die rote Ziernaht am Hemd ihres Vergewaltigers auf die sie starrt, während sie missbraucht wird und bereits versucht, ihr Inneres aus der Situation abzukoppeln. Dieses Rot empfindet sie im Nachgang folgendermaßen:
„Aber dieses Rot war keine Farbe, keine Warnung und keine Herausforderung, kein Stierkampftuch; nein, Rot war der Filter, durch den sie alles wahrnahm; es löschte die Zeit zwischen Gegenwart und jenem Moment aus, der nicht länger vergangen war, sodass sich ihr ganzes Wesen, von den erweiterten Pupillen über den stoßweisen Atem bis hin zur Kälte in ihrer Brust, neu ausrichtete, um die Welt von nun an durch diesen Filter zu betrachten.“ (S.135/136)
Warum man dieses Buch lesen sollte? Weil sich auch die Themen des Romans wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft ziehen. Es sind die Kämpfe und Rivalitäten in der Familie, Freundschaften und was sie uns bedeuten und geben können, aber eben auch der Umgang mit sexualisierter Gewalt, die uns leider ständig umgibt, auch wenn wir sie selbst gerade nicht wahrnehmen. Rosie Price schafft es, die Leichtigkeit und die dunklen Momente so in Einklang zu bringen, dass sie einen nicht erdrücken, aber mitfühlen und mitleiden lassen, ohne dabei dogmatisch zu sein, sondern feinfühlig und nicht ohne eine Brise Humor.
Ich freue mich, hoffentlich bald mehr von dieser jungen Autorin lesen zu dürfen.
In der nächsten Woche stellt Irmgard Lumpini Sinéads O'Connors neue Autobiographie "Rememberings" vor und geht der Frage nach, was eigentlich nach dem Welterfolg der ersten Alben und dem großen Skandal des zerrissenen Papstbildes wurde.
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09:45
Stephen King - Billy Summers
Episode in
Studio B
Das Buch war fesselnd, intelligent und einfach grandios. Ich habe mir post lectio frustriert gegen das Cranium geschlagen und gefragt: wie präjudiziert kann man durch die Welt laufen. Seitdem benutze ich keine Fremdwörter mehr und bin frei von Vorurteilen.
Aber, ich muß nicht jeden Stephen King lesen, speziell mit den übernatürlichen Klassikern (und Neuwerken) kann ich noch immer wenig anfangen, aber Sachen wie die “Mr. Mercedes”-Reihe sind gelungener Zeitvertreib mit immer etwas mehr Tiefe, als man zu Beginn vermutet. Teil Zwei und Drei dieser Serie hatte ich mit etwas mehr Pflichtbewusstsein denn Enthusiasmus gelesen, um so mehr erfreute mich die flüchtig überlesene Schlagzeile in einer renommierten Tageszeitung, dass der neueste Stephen King mit dem unprätentiösen Titel "Billy Summers" sein "bestes Buch seit Jahren" sei.
Stephen King führt seinen titelgebenden Hauptheld Billy Summers als einen Émile Zola lesenden Auftragskiller ein. Seinen Auftraggebern gegenüber geriert er sich als eher schlicht, das hatte sich irgendwann mal so ergeben und als praktisch erwiesen. In einem Comic lesend wartet er also in einer Hotelhalle auf seinen Kontakt, äußerlich den Simpleton gebend, nicht übertrieben, aber überzeugend. Billy Summers, Anfang 40, ist ein Ex-Marine und Irakkriegsveteran, war dort ein Sniper und kam mit ein paar Orden und ohne einen halben großen Zeh zurück. Damit hatte er eine Menge Glück gehabt, was auch damit zu tun hat, dass er sein Handwerk versteht. Das erste Bild, das nicht nur vor meinem lesenden Auge entstehen wird, ist das von Thriller-Serienheld Jack Reacher. Nein, nicht der durch hochkomplexe Kameraarbeit auf Format gefilmte halbe Hahn Tom Cruise. Der richtige Jack Reacher, der für mich immer seinem Autorenvater Lee Child am ähnlichsten sein wird, groß, hager, mit einem schmalen, stählernen Lächeln. Wie Jack Reacher also hat auch Billy Summers keine großen Bauchschmerzen, seiner Arbeit nachzugehen und dabei Leichen zu hinterlassen, aber stets mit einem moralischen Code, der simpel sagt: "Ich töte nur böse Menschen." Wie einfach das ist, können wir uns vorstellen und wird natürlich ein roter Faden im Buch sein.
Wir werden lernen, dass Billy Summers sehr zeitig im Leben getötet hat. Er musste im Alter von elf Jahren mit ansehen, wie der Abschaum von einem Freund seiner drogensüchtigen Mutter eines Abends in ihr Haus kommt und seine kleine Schwester zu Tode tritt. Billy kann sich nur in letzter Not und mit Hilfe des Armeerevolvers des Arschlochs retten, der / zum Glück, Amerika! - im Haus einfach so rum liegt. Er schießt dem Dreckskerl in den Bauch und lässt ihn verbluten. Diese Szene wird ihn und uns begleiten. Es ist ein Buch der Rückblenden und: Es ist ein Kunstwerk.
Zunächst jedoch finden wir Billy Summers in einem kleinen Kaff in Kentucky. Er ist hier um einen letzten großen Auftrag angeboten zu bekommen. Der wird so lukrativ sein, dass er sich zur Ruhe setzen kann. Ihm ist nicht ganz wohl dabei, denn nicht nur er weiß, dass das schief gehen kann, dass das der Stoff ist, aus dem Filme und Bücher gemacht werden.
Billy Summers sitzt also in einer Hotellobby und liest Comic. Ein alter Bekannter aus der Unterwelt hat einen Auftrag: eine halbe Millionen jetzt, anderthalb Millionen nach getaner Arbeit. Wenn er zustimmt, wird er beauftragt, einen Auftragskiller zu killen. Billy stellt die obligatorische Frage und ja, das Target ist kein guter Mensch. Neben den dutzenden Auftragsmorden, bei denen Billy jetzt nicht in der besten Position ist pro oder contra, gut oder böse zu argumentieren, hat der Auftragsmörder letztens zwei Leute nach einem Pokerspiel abgeknallt, weil sie gegen ihn gewonnen haben, was ja wirklich unsportlich ist. Billy sagt ok, eine halbe Minute später hat er $500.000 auf einem Nummernkonto in der Karibik.
Billy ist beauftragt, es wird ein Plan geschmiedet. Ein schmieriger Immobilienbesitzer hat einen Büroturm genau gegenüber dem Gerichtsgebäude, wo dem Auftragskiller der Prozess gemacht werden wird, mit idealer Sicht auf den Eingang, durch den er TV-wirksam vom Sheriff mit dem übergroßem Cowboyhut im orangen Einteiler und mit Hand- und Fußfesseln vorgeführt werden wird. Einziges Problem: keiner weiß wann. Es wird noch mindestens ein paar Wochen, vielleicht Monate dauern, bis der Angeklagte aus Kalifornien ausgeliefert wird. Billy muss also warten, und damit er einen plausiblen Grund hat hier zu sein, wird die Legende gebaut, nach der Billy Summers ein Schriftsteller von der Ostküste sei, der mit seinem Buch nicht fertig wird und von seinem Agenten in den Schreiburlaub dahin geschickt wird, wo er nicht den ganzen Tag den Vorschuss verhuren und versaufen kann. Man mietet ihm ein beschauliches Wohnhaus in den suburbs, dazu das ideale Eckbüro mit Sicht auf das Gerichtsgebäude und gibt ihm ein MacBook, auf dem er "irgendwas schreiben" soll, um in die Rolle zu kommen.
Diese leicht sperrige Konstellation ist ganz, ganz eventuell das einzige, was man dem Buch vorwerfen kann, mir fallen ein halbes Dutzend Wege ein, das Ganze mit deutlich weniger Aufwand durchzuziehen; andererseits, was weiß ich schon, ich bin schließlich kein Auftragsmörder. Oder vielleicht doch?! mystische Musik
Egal, denn dieses Setting, womit wir uns übrigens von der konkreten Handlung verabschieden, keine Spoiler mehr ab hier, Rezensentenehrenwort, diese Konstruktion also, ist wohl und sehr bewusst gewählt denn es ist der Grund, warum wir hier einen Stephen King besprechen. Wie jeder weiß, ist das überflüssig. Die-hard-Fans von Stephen King lesen das Buch eh und Leute, für die Stephen King unter Niveau ist, Leute mit Vorurteilen also, lesen noch nicht mal diese Rezension. Unvorstellbar.
Dass Stephen-King-Bücher immer etwas tiefer sind als man denkt weiß ja jeder, "Billy Summers" jedoch ist viel mehr geworden: es ist ein praktisches Lehrbuch der Schriftstellerei in der Form eines Thriller. Es würde Pflichtmaterial für die Verwendung an belletristischen Hochschulen werden, wenn es diese denn gäbe. Stephen King packt alles, was er als Schriftsteller über den Prozess, das Denken und Arbeiten weiss und dann noch ein paar Sachen Extra in einen Krimi und schafft ein "Vermächtnis", wenn so ein Wort denn zu Stephen King passen würde und nicht zu endgültig klänge. Stephen King wird eine Buchlänge lang zum Autoren für Autoren.
Alles beginnt mit der Struktur: Während Billy Summers, der Killer, in seiner Tarnung als Schriftsteller auf den Anruf wartet, dass sein Opfer auf dem Weg ist, denkt er sich, kann er auch ein bisschen schreiben. Wie man liest weiss er, wie schwer kann schreiben sein? (Das ist im subtext natürlich auch ein Hinweis an jeden Leser und potentiellen Schriftsteller). Erlebt hat Billy Summers genug: von der Horrorkindheit über seine Zeit im Waisenhaus, seine Ausbildung bei den Marines, die Horrorzeit im Irak bis zum Karrierewechsel vom staatlichen zum privatwirtschaftlichen Auftragskiller. Also setzt er sich an den ihm zur Tarnung gestellten Notebook und schreibt über seine Kindheit. Da er (zutreffend) annimmt, dass alles, was er schreibt von seinen Auftraggebern mitgelesen wird und diesen ihn als Simpleton kennen, übt er sich im Stil eines solchen und schreibt aus der Perspektive und in der Sprache des elfjährigen Billys. Dabei zeigt Stephen King im Buch die Fehler und Fehlversuche, die man unweigerlich beim Schreiben macht, und beginnt Kapitel zum Beispiel in "verbesserter" Kindersprache von neuem, wie ein A/B Test. Wir lesen, typographisch durch serifenlose Abschnitte abgesetzt, die wahre Geschichte des Billy Summers. Wir lesen im einfachen Stil von seiner Kindheit und von seiner Zeit im Waisenhaus.
Als er sich in der Haupthandlung, dem Thriller "Billy Summers", zuverlässig von der Überwachung durch seine Auftraggeber befreien kann, kommt er zum zutreffenden Gedanken, dass er über die Erlebnisse als Soldat in Fallujah, Irak, in seiner eigenen Sprache berichten kann und sollte und wir lesen seitenlange fesselnde Einschübe aus dem alternativen "Billy Summers", die Geschichte von persönlichen Fuckups in einem abgefuckten Krieg. Dabei greift Stephen King auf ein Buch mit Namen "No True Glory" von Bing West zurück, welches er im Nachwort erwähnt und empfiehlt, womit King dem unsicheren Autoren demonstriert, dass man nicht alles selbst erlebt haben muss und wie man fremde Quellen in seinen eigenen Sound transponiert.
Da Stephen King Billy Summers, den Schriftsteller, die Geschichte seiner Entwicklung zum Billy Summers, den Auftragskiller schreiben lässt, vereinigen sich diese beiden Stories, je näher sich Präteritum und Präsens kommen. Dass es kompliziert werden kann, wenn sich Fiktion und Fiktion in der Fiktion nähern und dass dabei strukturell sauber gearbeitet werden muss, lässt King dann innerhalb der Story die Protagonisten besprechen, was in einer letzten Wendung des Romans geschieht. Es ist erstaunlich und brillant.
Weit vorher jedoch, in einer sehr überraschenden Wendung, wird - sehr dramatisch - eine einundzwanzigjährige Studentin in die Story eingeführt. Überraschend nicht nur für die Handlung, sondern weil Stephen King sich damit völlig ohne narrativen Zwang in die Situation begibt, das Verhältnis des Mittvierzigers Billy Summers zur blutjungen Alice bis zum Ende des Buches zu untersuchen und zu beschreiben, etwas, was sich in unseren woken Zeiten fast nur noch ein Stephen King ohne Angst um die Karriere leisten kann. Er schreckt dabei vor keinem Topic zurück: ob Liebe, Hass, Vergewaltigung, Pädophilie, männliche Physiognomie; jeden potentiellen Absturz von der argumentativen Klippe meistert er mit tiefem Mitgefühl für den toxischen s**t, den die meisten Frauen in ihrem Leben oft nicht nur einmal erleben müssen, und klingt dabei nie wie eine #metoo timeline auf Twitter. Er spricht ein "kompliziertes" Thema nach dem anderen an, organisch innerhalb der Haupthandlung, und meistert es mit Bravour und voller Zärtlichkeit, mit fast surreal-traumwandlerischer Sicherheit. Man hält oft genug den Atem an, ob Stephen King die Kurve bekommt oder über die Cancelklippe springt - und wird jedesmal erlöst. Ich bin sicher, dass mir das gesamte Internet da zustimmt und denke nicht, dass ich das groß googlen muss.
Und wie ein Mittelfingerzeig dem "ernsthaften" Literaturbetrieb (und weil er es kann) schafft er es am Ende eines strukturell wie thematisch seriösen Werkes selbst aus dem zynischsten Literaturkritiker eine Träne auf's Papier zu wringen in einem sich twistenden und windenden Ende, welches dennoch keine Seite zu lang ist.
Stephen King erweist sich mal wieder als der Meister der überraschenden Wendung und hat einen Roman geschrieben, der in der Rezension konstruiert erscheinen mag, beim tatsächlichen Lesen jedoch fließt und pageturned wie man es vom Autor kennt und erwartet. Ich, der ich meine Bücher gerne geradlinig habe, Rückblenden eher skeptisch gegenüberstehe (und meinen Hass gegenüber der Vorblende hier oft genug geäußert habe), dem Bücher in Büchern höchst suspekt sind und der Bücher "Aus dem Leben eines Schriftstellers" für eitle Eigenbauchmiezelei halte, stehe baff erstaunt vor einem Werk, welches alle diese No-Gos enthält, dazu reihenweise Verweise und Anspielungen auf andere Werke der Literaturgeschichte und bestimmt ein halbes Dutzend derer auf das eigene Oeuvre und die ich alle nicht verstanden habe. Und dennoch ist "Billy Summers" einfach "nur" ein spannender Thriller, von einem Autor, der sich Gedanken macht über unsere Zeit, der reflektiert über die human condition und dabei keine Seite Langeweile aufkommen lässt. Denn Stephen King ist ein Meister seines Faches, wie ich schon immer empathisch gesagt habe. Weiß jede.
In der nächsten Woche im Studio B bespricht Anne Findeisen Rosie Price' Debütroman "Der rote Faden", der bereits 2020 veröffentlicht wurde, uns thematisch an Irmgard Lumpinis zuletzt besprochenen Roman "That Summer" von Jennifer Weiner erinnert und bereits kurz nach Veröffentlichung zur Post-"Me too" Literatur avanciert ist.
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10:50
Die Diskussion - Wells, Lee, Weiner
Episode in
Studio B
Die Werke der letzten drei Episoden in der Diskussion, also Martha Wells “Tagebuch eines Killerbots”, Harper Lees “Gehe hin, stelle einen Wächter” und Jennifer Weiners “That Summer” haben Parallelen, auf die man erst mal kommen muss. Zum Glück haben wir Irmgard Lumpini, die scharfblickig erkennt, dass es trotz völlig unterschiedlicher Romanstile und Handlungszeiten um die großen Fragen geht: “In welcher Gesellschaft leben wir?, “Akzeptieren wir das?” und schlussendlich “Wer bin ich?”.
In der nächsten Episode bespricht Herr Falschgold einen Autoren, bei dem man sich das eigentlich sparen kann: Stephen King. Wer ihn liebt, liest eh jedes Buch, alle anderen geben keinen s**t. Aber sein neuester Roman, “Billy Summers”, von vielen als einer seiner besten seit langem bezeichnet, hat interessante Facetten und Techniken, die eine tiefere Betrachtung verdienen.
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46:19
Jennifer Weiner "That Summer"
Episode in
Studio B
TRIGGERWARNUNG & SPOILER ALERT: Es werden Inhalte des Romans gespoilert, besprochene Themen sind Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt.
Die Werbekampagne zum heute vorgestellten Buch könnte irreführender nicht sein. Chapeau! Angepriesen als neuestes Werk der "unangefochtenen Königin des Strandbuches" Jennifer Weiner, die stattliche 15 No. 1 auf der Bestsellerliste der New York Times ihr Eigen nennen kann, und deren klassische Heldin in ihren eigenen Worten so charakterisiert wird: “ein glückliches Ende finden, während sie sich selbst treu bleibt.”
Bei einem Werbeauftritt in Amerikas - meint hier The United States of - berühmtester Guten-Morgen-Fernsehshow "Good Morning America!" unterhält sich Autorin Jennifer Weiner einige kurze Minuten mit den 3 Hosts der Sendung über ihr gerade veröffentlichtes Werk "That Summer", und wir erfahren:
1. Jennifer Weiners Mutter ist vor kurzem gestorben, und eine der wichtigsten Lektionen, die sie von ihr gelernt hat, ist Body Positivity, also das Wohlsein im eigenen Körper, dessen Möglichkeiten kennend und wertschätzend, unabhängig davon, ob das heute zum Glück immer mehr schwindende Traummaß des 90-60-90 erreicht wird.
2. Gefragt, warum ihre Heldinnen immer dem gleichen Muster zu folgen scheinen, antwortet sie mit einem Zitat von Toni Morrison, bei der sie auch mal einen Schreibkurs besucht hat: "Wenn es ein Buch gibt, dass du lesen musst, und es steht nicht in der Buchhandlung, musst du es selbst schreiben. (Ziemlich sicher gibt es eine bessere als diese sehr freie Übersetzung.)
3. "That Summer" wurde während der Pandemie geschrieben, als sich Jennifer Weiner zu Hause mit ihrer Familie ununterbrochen konfrontiert sah und sich zu einem Platz schreiben wollte, den sie liebt. Voilá: Cape Cod.
4. Zwei der Protagonistinnen sind 15 Jahre alt, so alt wie die Tochter der Autorin. Sie ansehend fragt sie sich: Hat sich die Welt geändert, seitdem ich in diesem Alter war? Habe ich mich geändert? Und wenn ja, ist es jetzt besser?
5. Wenn es nicht besser ist, was muss getan werden, was muss ich tun, damit sie besser wird?
Und weil die Show Good Morning America! heißt, lächeln alle in die Kamera, pandemiebedingt in 4 Kacheln und nicht im selben Raum. Jennifer Weiner hält noch kurz das Buch in die Kamera und winkt.
Ähnlich war die Ankündigung des Buches auf einer der von mir frequentierten Empfehlungslisten. Could have fooled me! Hat es auch.
Zurück zu 4. Ich nummeriere hier ja nicht umsonst: Hat sich die Welt geändert, und falls ja, ist es besser? Ja, vielleicht, hoffentlich, sonst könnte man den ganzen Bumms auch anzünden.
Zurück zur eingangs erwähnten Marketingkampagne und einem radikalen Bruch mit Studio Bs nirgendwo niedergeschriebenem, mündlich aber öfter formulierten Anspruch, hier in denglish, DIE STORY NICHT ZU SPOILERN:
Bei “That Summer” handelt es sich nicht um ein unbeschwertes Buch, das zur Sonnencremebeschmierten und zwischen den Seiten Sand ansammelnden Sommerlektüre empfohlen werden kann, weil der Plot den champagnerinduzierten Schwips verstärkt, auch wenn das in fast allen Empfehlungen und Besprechungen so erscheint.
Und ein weiterer Beweis der These, dass Kritiker*innen nicht immer das rezensierte Werk tatsächlich auch - wenigstens ansatzweise und überfliegend - gelesen haben.
"That Summer" ist die Geschichte zweier unterschiedlicher Frauen, beide heißen Diana, die eine wird Daisy genannt. Sie verfolgen geradezu konträre Lebensentwürfe. Während Diana als erfolgreiche Vertreterin durch die Staaten reist und ein luxuriöses Leben als Single führt, finden wir Diana, die sich als Kochlehrerin ein berufliches Standbein aufgebaut hat, als Organisatorin, Putzfrau, seelischer Mülleimer und mit dezenter Unaufmerksamkeit durch ihren ein paar Jahre älteren Ehemann Hal und mit offenerer Abneigung durch ihre 15jährige Tochter Beatrice bedachte, ein wenig einsame Frau, deren äußere Lebensumstände Zufriedenheit bringen sollten, sie aber zunehmend irritieren. Die beiden begegnen sich, weil Dianas Mails aufgrund eines Tippfehlers in der E-Mail-Adresse bei Daisy landen. Bei einem ersten Treffen der unterschiedlich situierten Frauen sind sich beide sympathisch, eine Freundschaft bahnt sich an.
Der Plot von “That Summer” wird in 2 zeitlichen Linien entwickelt: rückblickend auf die Geschehnisse eines Sommers, eben “That Summer”, deren Protagonistin Diana ist, und in der Jetztzeit, mit reflektierenden Rückblicken auf Daisys Geschichte und immer weiteren Enthüllungen über Dianas Leben.
Im Sommer 1987 hat Diana als 16jährige einen Sommer auf Cape Cod verbracht, als Aushilfe in einem befreundeten Haushalt. Erste Liebe zu einem Collegeboy, zum Abschluss des Aufenthalte eine Party, nach der sich Diana zunächst an nicht viel erinnern kann. Als die Erinnerungen an diese Nacht zurückkehren, wird ihr Leben ein anderes sein und werden: Sie wurde vergewaltigt, ein 2. Student hat sie festgehalten, ein Dritter zugesehen, aber nicht eingegriffen. Diana verlässt in der Folge die Schule ohne Abschluss und wird nie Kinder haben.
Sprung in die Jetztzeit: Was Diana will, ist Rache. Der Beginn ihrer aufkeimenden Freundschaft mit Daisy ist zunächst vorgetäuscht. Durch einen Zufall hat sie ihren Vergewaltiger von damals wiedererkannt und möchte auch die Frau bestrafen, die in ihren Augen alles hat: eine Familie, eine Tochter. Zunehmend bekommt sie Skrupel, wird aber ihre Geschichte zu erkennen geben, mit weitreichenden Folgen.
Das Buch stellt komplexe Fragen zur Verantwortung sexueller Übergriffe: nach der des Vergewaltigers, nach der der Eingeweihten. Es ist ein Werk über die Auswirkungen eines lange Jahre verheimlichten Angriffs auf das Leben der Beteiligten, die Macht und Auswirkungen von Rache. Wie hart sollen solche Verbrechen bestraft, oder sollten sie vergeben werden? Jennifer Weiner erwähnt explizit die me too Bewegung, die viele Frauen ermutigte und inspirierte, über ihre traumatischen, manchmal aber - und das ist fast unheimlicher - gewöhnlichen und als alltäglich wahrgenommenen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt zu sprechen und zu schreiben. Dabei finden sich in “That Summer” alle möglichen Formen, in denen diese gewaltvollen Erfahrungen in unserer Gesellschaft behandelt werden.
Mannigfaltig sind die Entschuldigungsformeln: “Jungs müssen sich ihre Hörner abstoßen.” So formuliert es der alte Vater des Vergewaltigers oder auch kürzer “So sind junge Männer eben.”
Dem Opfer wird eine Mitschuld gegeben: “Sie wusste doch, worauf sie sich einlässt, wenn sie auf die Abschlussparty des Sommers geht und dort auch noch Alkohol trinkt.”
“Vielleicht hätte sie nicht so flirten sollen.”
In den Diskussionen wird darauf hingewiesen, dass sich der damalige Täter von damals geändert hätte, und dass er vielleicht nicht so gehandelt hätte, wenn man ihm nicht die Möglichkeit gegeben hätte.
Ein Grund, der letztendlich sowohl Diana als auch Daisy in ihrem Umgang mit den Folgen der Vergewaltigung zur Offenheit zwingt, ist Daisys 15jährige Tochter. Der drohende Schrecken sich immer wiederholender Ereignisse führt beide dazu, über die Ereignisse dieses Sommers zu sprechen.
Nun ist natürlich die Frage, warum “That Summer” noch in diesem - mittlerweile doch abgekühlten - Sommer gelesen werden sollte: Jennifer Weiner hat einen Roman geschrieben, der sich mit überraschenden Wendungen einem schwierigen Teil unserer Gesellschaft nähert. “That Summer” ist leicht zu lesen, aber keine einfache Lektüre. Wie auch, wenn die Auswirkungen einer Vergewaltigung für die Betroffenen lang und traumatisch sind, die niemals vollkommen geheilt werden können und ein anderes Leben erzwingen? Jennifer Weiner nähert sich der komplexen Thematik nuanciert und präzise, aber nicht reißerisch oder polemisch.
Ihr Verdienst ist es, die Möglichkeiten zu zeigen, die eine sich verändernde Gesellschaft bietet und die Kraft weiblicher Freundschaften zu feiern. Das mögen manche als kitschig empfinden, ist aber einer der Gründe, warum der Bums hier noch nicht brennt.
Im Internet (wo sonst?) wurde “That Summer” kontrovers diskutiert. Es wurde auf einige Inkonsistenzen hingewiesen, im Wesentlichen hangelten sich gelegentliche Kritiken an den entschuldigenden Argumentationslinien der Vergewaltiger und ihrer Kompliz*innen entlang, eine politische Agenda der Verrisse war dabei oft unverkennbar.
“That Summer” und die Diskussion könnte - wieder einmal - ein Anstoß sein, über unsere Gesellschaft zu sprechen und zwar miteinander. Als die me too Bewegung bzw. die Berichte und Auswirkungen - Stichwort Cancel Culture unsere Breitengrade erreichte, wurden in meinem Bekanntenkreis in den diversen Bars und Kneipen der Stadt viele erhitzte Diskussionen geführt, deren Schwerpunkt immer Fragen waren, ob es wirklich gerechtfertigt sei, dass z. B. ein begabter Schauspieler seine Jobs infolge von Anschuldigungen verliert, obwohl noch kein Gericht seine Schuld festgestellt hat. Nie, wirklich nie, wurde mir oder den anwesenden Freundinnen und Frauen die Frage gestellt, was denn unsere Erfahrungen sind. Versuche, über die Kultur sexueller Übergriffe und Vergewaltigungen und ihre Folgen und Auswirkungen zu sprechen hat es immer wieder gegeben. In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Berichte und Studien, immer schockierend, in welcher Vielzahl und Gewöhnlichkeit diese Übergriffe erfolgen.
Ich bin es satt. Ich habe keine, wirklich gar keine Lust, über die Folgen für die Vergewaltiger und Arschgrapscher zu sprechen. Es ist mir egal, ob sie Freundinnen und Freunde und Jobs und eine Karriere und den Respekt der Gesellschaft verlieren und ob sie vor den Enthüllungen in ihrer Profession die Kunst auf eine neue Stufe gehoben haben. Immer und immer wieder kommen Männer mit ihrem übergriffigen Verhalten durch. Der letzte US-Präsident ist dabei nur ein besonders krasses Beispiel, gewählt wurde er trotzdem, auch von der Mehrheit der weißen Frauen. Es sind nicht nur Länder wie Indien oder der südamerikanische Kontinent, in dem diese Übergriffe stattfinden. Es sind eure Freundinnen, eure Nachbarinnen, die Barkeeperinnen, die Kolleginnen. Sie alle haben diese Geschichten auf Lager, der einzige Ausweg ist, den Mund aufzumachen und die Gesellschaft und ihre Institutionen zu zwingen, die Täter zu hindern und zu bestrafen. Bevor ihr das nächste Mal über einen “gecancelten” oder mit Vorwürfen konfrontieren Schauspieler sprechen möchtet, fragt sie lieber, wie es ihnen bisher so ergangen ist (und seid nicht enttäuscht, wenn sie nicht darüber sprechen wollen)
Am Ende vom Tag können doch alle froh sein, dass die meisten keine Rache, sondern nur Respekt und Gleichberechtigung wollen.
Warum diesmal dieser Rant? Dazu hat mich die Lektüre von Jennifer Weiners “That Summer” getrieben. Ein Roman, der Auswirkungen hat.
Nächste Woche diskutieren Anne Findeisen, Irmgard Lumpini und Herr Falschgold die Bücher der letzten Wochen. Wer vorlesen möchte findet diese auf lobundverriss.substack.com
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12:19
Harper Lee: 'Gehe hin, stelle einen Wächter'
Episode in
Studio B
Im Jahr 1960 erscheint der Roman To Kill a Mockingbird oder: Wer die Nachtigall stört, wie er auf deutsch besser bekannt ist, der amerikanischen Autorin Harper Lee. Bereits drei Jahre zuvor verfasste die Autorin ein Manuskript mit dem Titel Go Set a Watchman, welches den Erstentwurf zu ihrem späteren Weltbestseller darstellt, jedoch nie veröffentlicht wurde. Möglicherweise ist es angesichts der damaligen Rassenunruhen zu nah am Tagesgeschehen und Harper Lee wird empfohlen, ihre Geschichte lieber in den 1930er Jahren anzusiedeln. Und so verschwindet Gehe hin, stelle einen Wächter, so der Titel des Entwurfs auf deutsch, für lange Zeit in einem Tresor und wird erst 2011 in einem Bankschließfach wiederentdeckt und 2015 schließlich veröffentlicht und damit der breiten Masse zugänglich gemacht. Obwohl die Geschichte zeitlich in den 1950er Jahren angesiedelt ist und auch die Protagonisten die selben wie in Wer die Nachtigall stört sind, ist es nicht als Fortsetzungsgeschichte zu verstehen. Daher werde ich es als unabhängigen Roman und nicht im Vergleich rezensieren.
Die 26-jährige Protagonistin Jean Louis Finch macht sich, wie jedes Jahr, in ihrem 2-wöchigen Urlaub auf den Weg von New York in ihre Heimatstadt Maycomb in Alabama. Dort wird sie von ihrem Jugendfreund Henry Clinton, kurz Hank genannt, vom Bahnhof abgeholt. Der vier Jahre ältere Hank, der selbst aus eher bescheidenen Verhältnissen stammt und Jura studiert hat, wurde von Jean Louis' Vater Atticus Finch, der selbst seit Jahrzehnten als Jurist tätig ist, unter seine Fittiche genommen. Er kennt somit nicht nur Jean Louis von Kindesbeinen an, sondern ist auch eine Art Ziehsohn für den Vater und damit ein Stück weit bereits Teil der Familie geworden. Zudem möchte er Jean Louis irgendwann heiraten, die ihm diesbezüglich jedoch ausweicht.
Zu Hause angekommen, erwarten Jean Louis ihr Vater Atticus sowie deren Schwester Alexandra, die ebenfalls mit im Haus lebt, seit die ehemalige, farbige Haushälterin Calpurnia zu alt und im Ruhestand ist und der Vater unter Gelenkrheumatismus leidet und Hilfe im Alltag und Haushalt benötigt. Da Jeans Mutter bereits verstarb, als sie noch ein kleines Kind war, hat sie keine Erinnerungen mehr an sie und fand in Calpurnia eine Art Mutterfigur, wohingegen sie zu ihrer Tante ein eher distanziertes Verhältnis hat. Auch ihr Bruder Jeremy ist bereits vor einigen Jahren verstorben, da er wie die Mutter an einer genetisch bedingten Herzerkrankung litt. Das familiäre Personal ist also eher spärlich und es bleibt noch Atticus' Bruder und damit Jean Louis Onkel Dr. John Hale Finch, kurz Jack, zu nennen, der nicht nur pensionierter Arzt ist und ein gutes Verhältnis zu seiner Nichte pflegt, sondern auch eine Vorliebe für viktorianische Literatur hat, „eine Leidenschaft, die ihm den Ruf einbrachte, der gebildetste allgemein anerkannte Exzentriker in Maycomb County zu sein.“ (S.104) Das erste Aufeinandertreffen mit ihrem Onkel Jack im Roman findet statt, als sich die Familie zum gemeinsamen Kirchenbesuch trifft. Während dieses Besuches fällt auch das Bibelwort, welches gleichzeitig den Titel des Romans bildet und im Buch des Propheten Jesaja in Kapitel 21, Vers 6 zu finden ist: „Denn der Herr sagte zu mir: Gehe hin, stelle einen Wächter, der da schaue und ansage.“ Jean Louis Onkel nimmt dieses Zitat zu einem späteren Zeitpunkt im Roman noch einmal auf, doch bis dahin ist es nötig, den Fortgang der Handlung näher zu beschreiben.
Harper Lee teilt ihr Werk in sieben Teile mit insgesamt 19 Kapiteln auf. Zu Beginn des Buches geht es vor allem um Jean Louis' Anreise, ihre Gedanken und Erinnerungen an früher, ihre bisher gemeinsam verbrachte Zeit mit Hank, aber auch verschiedene Kindheitserinnerungen an ihren Bruder. Einfühlsam und, für mich, bestechend nachvollziehbar, beschreibt die Autorin hier den inneren Konflikt ihrer Protagonistin, die abwägt, was eine mögliche Heirat mit Hank und eine Wiederkehr in die alte Heimat für sie bedeuten würde. Die Entfremdung die sie dabei empfindet, wird besonders deutlich an einer Kaffeevisite, die ihr zu Ehren von ihrer Tante initiiert wird. Die anwesenden Damen, größtenteils älter als sie, aber auch ehemalige Klassenkameradinnen sind ihr fremd und mit deren Themen kann sie nichts anfangen. Die Vorstellung sich in diese Gesellschaft einfügen zu müssen, wenn sie Hank heiraten würde, ist ihr zuwider.
Das Gefühl, sich nicht nur in eine andere Richtung entwickelt zu haben, sondern auch in einem anderen Wertesystem zu leben, erfährt jedoch seinen Höhepunkt, als sie zufällig ein Magazin ihres Vaters durchblättert, in dem die Farbigen als „schwarze Pest“ bezeichnet werden. Von ihrer Tante erfährt sie zudem, das sowohl ihr Vater als auch Hank Mitglieder im Bürgerrat seien, der zufällig gerade tagt. Sofort macht sie sich auf den Weg zur Versammlung und muss fassungslos dabei zusehen und – hören, wie Hetzreden gehalten werden und ihr Vater selbigen nicht widerspricht. „...aber da saßen sie, überall im Saal. Männer mit Gewicht und Charakter, verantwortliche Männer, gute Männer. Männer aller Art und allen Ansehens.“ (S.127) Eine Welt bricht für Jean Louis zusammen und das, aus gleich zwei Gründen. Zum Einen weil sie erkennen muss, dass der Rassismus in ihre einstige Heimat Einzug gehalten hat und Menschen, die sie einst respektiert und geschätzt hat, nicht die Größe besitzen, sich dem entgegenzustellen. Und zum Anderen, dass ihr Vater einer von ihnen ist. Atticus Finch, den sie selbst geradezu glorifiziert hat, der von allen Menschen geschätzt wird, als durch und durch integrer Mann beschrieben wird und selbst schon öfter Schwarze vor Gericht vertreten hat, entpuppt sich als Befürworter rassistischen Gedankenguts. Jean Louis, selbst unter einer Schwarzen herangewachsen, kann hierfür keinerlei Verständnis aufbringen.
In der Folge kommt es zu mehrfachen Streitgesprächen zwischen Jean Louis und Hank, ihrem Onkel Jack und ihrem Vater Atticus, die sie als Heuchler bezeichnet und sich in weiteren Beschimpfungen ergeht. Alle drei versuchen sie zu beschwichtigen und ihr mittels fadenscheiniger Begründungen klarzumachen, dass sie das Richtige tun. Sie argumentieren, dass man manchmal etwas tun müsste, was man nicht möchte, um ein Ziel zu erreichen. Oder aber auch, dass die schwarze Bevölkerung noch nicht reif für voll umfängliche Staatsbürgerrechte sei. Argumente wodurch sie selbst ihre Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral freilegen. Die Erklärungsversuche ihres Onkels – sich über mehrere Seiten erstreckend – empfand ich dabei als sehr verklausuliert und schwer nachvollziehbar. Möglicherweise nutzt Harper Lee dies aber auch als Stilmittel um genau den Effekt der Verwirrung, wie sie ihre Protagonistin empfindet, beim Lesenden hervorzurufen. Letztlich ist es auch ihr Onkel, der seine Nichte durch einen gezielten Schlag ins Gesicht dazu bringen muss, ihr zuzuhören – eine mehr als fragwürdige Methode – der ihr sagt: „[...] der Wächter eines jeden Menschen ist sein Gewissen. So etwas wie ein kollektives Gewissen gibt es nicht.“ (S. 300) Was er damit sagen will ist, dass sie sich von ihrem Vater gelöst hat, ihn nicht mehr als unfehlbar betrachtet und ihr eigenes Gewissen gefunden hat.
Hierdurch wird deutlich, wie feinsinnig Harper Lee verschiedene Themen miteinander verquickt. Die Rassentrennung als politisches und gesellschaftliches Thema im Großen, verbunden mit dem Heranwachsen ihrer Protagonistin, deren Familienleben von eben jenen Themen beeinflusst, aber auch gespalten wird. Deren eigener moralischer Kompass in eine andere Richtung zeigt, als jener der Menschen, die einst ihr behütetes zu Hause gebildet haben und von denen sie sich nun betrogen fühlt. Es ist aber nicht nur der Schmerz dieser Erkenntnis einer jungen Frau, sondern auch eine Absage an deren Werte und eine Entwicklung hin zu einem Individuum. Das Ende, ohne an dieser Stelle zu viel zu sagen, könnte man als versöhnlich beschreiben. Ich fand es eher etwas unbefriedigend und zum Rest des Romans nicht konsequent genug.
Nichtsdestotrotz ein lesenswertes Buch, das vor allem von seiner traurigen Aktualität und seinen nachvollziehbaren und spürbaren Bildern lebt.
In der nächsten Woche bespricht Irmgard Lumpini Jennifer Weiners Roman "That Summer", der dem Titel nach eine Sommerlektüre verspricht, aber dann doch dunkle Wendungen nimmt.
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08:54
Martha Wells: Die Killerbot-Reihe
Episode in
Studio B
Zu Zeiten des seligen Gene Roddenberry ist die Zukunft noch rosig. Im Star Trek Universum herrscht, wenn nicht Kommunismus, so doch wenigstens ein demokratischer Sozialismus mit militaristischem Anstrich. Spätestens jedoch mit Neal Stephensons "Snow Crash" und William Gibsons "Neuromancer" Serie bekommt die Zukunft, was sie verdient: Kapitalismus im endlosen Endstadium. Staaten sind Firmen gewichen, Staatenbünde Monopolen.
Doktorarbeiten wurden darüber geschrieben, dass Science Fiction nur eine logische Fortsetzung der gesellschaftlichen Zustände ist, in denen sie geschrieben wird, es gibt also keinen Grund sich zu wundern, dass in Martha Wells "Murderbot Diaries", auf Deutsch "Tagebuch eines Killerbots", interstellarer Imperialismus herrscht, auf die brutalstmögliche Art verquickt mit und unterstützt von kapitalistischer Über-den-Tisch-Zieherei. Eine Ära, die an die aktuellen Zustände als die "guten alten Zeiten" zurückdenkt.
Wir befinden uns in recht weiter Zukunft und der Weltraum will erobert sein. Also machen sich Forscher und Firmen auf den Weg, in den Raum hinter dem "corporate rim", dem dicht besiedelten "bekannten" Ring von Galaxien und Planetensystemen. Dass das ein gefährlicher Job ist, versteht sich; nur weil Kapitalismus herrscht, ist die Alienflora und -fauna nicht ungefährlicher als im Universum von Captain James T. Kirk und Jean Luc Picard. Aber kein Problem, aus dem sich nicht Profit schlagen ließe, und so bieten intergalaktische Konglomerate von Sicherheitsfirmen Bonds, also Versicherungsverträge, an, die Du dir als hoffnungsvoller Entdecker neuer Welten zulegen kannst. Beziehungsweise musst, denn: "Ein schönes Raumschiff haben Sie da, es wäre doch eine Schande, wenn dem was passiert?", Sie wissen schon. Man bezahlt also eine Summe X, je nach Gefährlichkeit der Mission und Bonität des Entdeckers, dafür rüstet die Sicherheitsbude die Mission so aus, dass die Chancen gut sind, dass wenigstens ein paar Explorer heil zurück kommen. Falls nicht, wird eine erkleckliche Versicherungssumme an die Hinterbliebenen gezahlt. Beziehungsweise deren Arbeitgeber. Falls nichts Gegenteiliges im Kleingedruckten steht.
Die Sicherheitsfirmen haben also ein Interesse, dass möglichst wenige Mandanten von Erdwürmern, fleischfressenden Kakteen oder Weltraumpiraten konsumiert werden und rüsten entsprechend technologisch auf: schnelle Raumschiffe, sicher Habitatsystem und ordentlich Waffentechnologie. Die am weitesten entwickelte und versatilste ist der gemeine Security Bot, ein bisschen Menschenhirn mit sehr, sehr viel Technologie und nur noch wenig Fleisch und Blut drum rum, dazu überall Waffen eingebaut und das Äquivalent eines mittleren Amazon-Rechenzentrums in der Birne. Sieht aus wie Arnold, wird aber gesteuert von einem “gouverneur module” unter der Kontrolle der Sicherheitsfirma, dem der security bot gehört. In der deutschen Ausgabe wird das "Chefmodul" genannt. Was läuft bei deutschen Übersetzern schief, fragt man sich.
Unser Hauptheld, der sich selbst "Murderbot" nennt, ist ein solcher Security-Roboter mit dem klitzekleinen Unterschied, dass er sein Chefmodul, Jesus... - nennen wir es "Wächtermodul" gehackt und ausgeschaltet hat. Das Modul dient offiziell dazu, dass der Bot keinen Mist macht, also z.B. die zu beschützenden Kunden umnietet, vor allem aber nimmt es dem Bot den, dank eingebautem Menschenhirn unvermeidlichen, aber in der kapitalistischen Verwertungslogik extrem unpraktischen, freien Willen. Denn wer braucht schon einen security bot, der hinterfragt, warum er neben dem Beschützen des Kunden jedes Wort, dass diese sprechen, jede Entdeckung, die sie machen aufzeichnet und zum Wohle des Securityunternehmens nach monetär Verwertbarem durchsucht.
Jetzt also ohne ein steuerndes Modul macht unser security bot in der freien Zeit, die er hat, was man als Mensch so macht, wenn man freie Zeit hat: er guckt Netflix. Und jeder, der schon einmal Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen in einem Museum oder Supermarkt beobachtet hat, weiß, freie Zeit hat man da zu nahe 100%. Also ist er bei Folge 304 von "Vom Aufstieg und Fall des heiligen Mondes" (wir breiten das Tuch des Schweigen über die deutsche Übersetzung) und mit der Serie Worldhoppers ist er auch schon durch.
Das alles schaut er in jeder freien Minute, während er im Hauptjob dafür sorgt, dass seine Mandanten, ein Forschungsteam der nicht-kommerziellen "preservation alliance" nicht von Erdwürmern gefressen werden. Das gelingt ihm bei der Expedition, mit der wir in die Serie einsteigen, nur geradeso, dennoch sind die Kunden endlos dankbar und laden ihn ein, statt im Kofferraum des Raumgleiters, vorn, bei den Passagieren, zurück zur Basis zu fliegen. Vielleicht haben sie nur Angst, auf alle Fälle ist das extrem ungewöhnlich und vor allem unpraktisch, denn Murderbot mit freiem Willen muss diesen ohne spielen. Wenn sein Arbeitgeber mitbekommt, dass er ohne Wächtermodul rum rennt, würde er umgehend abgeschaltet und recycelt.
Normalerweise hat Murderbot im Einsatz einen Helm mit undurchsichtigem Visier auf, aber ausgerechnet als er sich in der Umkleide des Raumgleiters seiner alienbesudelten Klamotten entledigt, wird er zur Chefin der Expedition gebeten, damit diese sich für die Lebensrettung bedanken kann. Was an sich schon unerhört ist, denn a) hat er nur seinen Job gemacht, und b) werden murderbots im allgemeinen behandelt wie Werkzeuge, was ihm durchaus recht ist, zumal seit er sein Wächtermodul ausgeschaltet hat und Murderbot einfach nur in Ruhe Netflix gucken will. (Netflix heißt im Buch natürlich neutral "Media", aber wir wissen was gemeint ist). Also steht Murderbot vor Dr. Mensah, der Expeditionsleiterin, und starrt an ihr vorbei an die Wand. Er schaut sich und seinen Gegenübern prinzipiell lieber über die Security-Kameras zu, in Menschenaugen schauen ist extrem irritierend. Und wieso sind hier alle dankbar? Für genau den Fall, dass in einer Sickergrube zähnefletschende Erdwürmer Hunger haben, ist er doch hier. Aber ein "Dankeschön" tut irgendwie gut. Als die Lebensgerettete ihn gar umarmen möchte, wird ihm die ganze Rührseligkeit jedoch zu viel. "I had an emotion, and I hate having an emotion." wie murderbot solche Augenblicke beschreibt und stellt sich in eine Ecke des Raumes mit dem Gesicht zur Wand.
Hier verlassen wir die Story weitestgehend, sie ist interessant, genügend innovativ und fesselnd. Martha Wells spannt in den fünf entstanden Bänden, im deutschen aktuell in zwei Büchern zusammengefasst, einen Bogen auf, der die Serie noch eine Weile tragen wird.
Darunter jedoch, und das macht den Reiz der Serie aus, geht es, wie immer in guter utopischer Literatur, um die ganz großen Fragen. Science Fiction trägt das Abhandeln von wissenschaftlichen Themen ja schon in der Genrebezeichnung, üblicherweise spricht das vor allem Leserinnen an, die STEM-affin sind, wie man heute sagt, also science, technology, engineering and mathematics brauchen um einzuschlafen. Martha Wells lässt diese auch nicht im Regen stehen, es knallt und warped und hacked was das Zeug hält. Aber sie behandelt auch die despektierlich "weiche Wissenschaften", "soft science", genannten Fachgebiete und die sind, so ehrlich muss man sein, für Belletristik auch besser geeignet, hier: Psychologie, Philosophie und Soziologie.
Beginnen wir mit einem Besuch beim Therapeuten: wir merkten ja schon in der eingangs beschriebenen Szene, dass Murderbot nicht wirklich mit seiner neuen, freien Welt klar kommt. Das beginnt damit, dass er sich trotz ordentlich Rechenleistung und guten Wörterbüchern sprachlich nicht in ihr zurecht findet. Auf Effizienz programmiert, denkt und redet er wie ein Handbuch für einen HP Laserjet, nur dass er nicht beschreibt, wie man einen Papierstau entfernt sondern, wie man gegen drei feindliche Militärroboter mit dem Leben davon kommt. Wobei ihm seine Programmierung gar nicht hilft ist, wie man mit jemandem umgeht, der ihm nicht sagt, was er machen soll und ihn nicht wie ein Möbel behandelt. Das muss er erst lernen und wir merken bald, dass er seine moralische "Erziehung" von seinem Medienkonsum bekommt, mit den erwartbaren, aber durchaus nicht nur negativen, Konsequenzen.
Damit ist Murderbot natürlich und erwartbar zumindest im Autismus-Spektrum diagnostizierbar. Das ist ja heutzutage jeder und auch dem Rezensenten wurde das schon vorgeworfen, meist in Situationen, wenn man unangemeldeten Besuchern nicht sofort ein komplettes Kaffeetrinken mit selbstgebackenem Kuchen anbietet, weil man gerade auf dem Hometrainer sitzt, eine klare Fehldiagnose also. Murderbot aber zeigt offensichtlich alle Anzeichen und das ist von Martha Wells bezweckt. Das Genre selbst und die für scifi-fremde Leser manchmal zu technischen Beschreibungen in der Killerbot-Serie sprechen, so kann man vermuten, keine kleine Anzahl von Bewohnern des Asperger- und Austismusspektrum als Leser an und diese wiederum identifizieren sich natürlich gerne mit einem Protagonisten, der sich nicht als Kind, sondern als voll entwickeltes Individuum mit der Situation auseinandersetzen muss und kann. Das ist subtile Lebenshilfe und nicht nur für Betroffene sondern auch deren Gegenüber. Wirklich toll!
Philosophisch gibt es kaum eine größere Frage als "Was soll das alles?", eine Frage, die sich Murderbot mit aktivem, den freien Willen ausschaltendem Wächermodul nie stellen musste, welche aber ohne dieses auf einmal allgegenwärtig ist. Hier wendet sich Martha Wells an eine breitere Schicht von Lesern: wer hat sich nicht schon die "Worum geht's hier eigentlich?"-Frage gestellt, früh um zwei in der Bar. Die Antworten findet Murderbot in seinen Lieblingsserien, was nicht die dümmste Quelle sein muss, er sieht Serien über Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, was ihn als ehemaligen Mitarbeiter eines Serviceunternehmens anspricht. Einzig, dass er jetzt selbst entscheiden muss, wen er killt - und warum - macht ihm heftig zu schaffen. Dort helfen historische Serien: die Fehler der Geschichte zu kennen, hilft diese zu vermeiden. Und wenn er gar nicht weiß wohin im Universum, gibt es immer noch Serien, in denen der Weltraum erforscht wird, mit den größten Abenteuern, die man sich vorstellen kann. Wir lernen jedoch bald, was am meisten in Murderbot bohrt: es ist die fragmentarische Erinnerung an ein Massaker, von ihm selbst verübt, von seinem "Arbeitgeber" unvollständig gelöscht. Er hat sich seinen Namen ja nicht umsonst gegeben. Mit dem neu gewonnenen Gewissen lässt ihm das keine Ruhe, jedoch wird er moralische Hilfe bekommen von seinen letzten "richtigen" Kunden, die mit den Erdwürmen, mit Dr. Mensah an der Spitze der "preservation alliance", gewissermaßen eine community von Hippies inmitten einer hyperkapitalistischen Gesellschaft. Es wird der Punkt kommen, der Sache auf den Grund zu gehen. Murderbot will wissen, warum er ein murderbot ist.
Keine Angst vor Spoilern, aber die Antwort wird eine sein, die man gerne von Massakristen aller Art hört, hier aber stimmt: die Gesellschaft ist schuld. Womit wir zur Soziologie kommen. Martha Wells beschreibt im setting der gesamten Serie eine logische Fortsetzung der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, ein Kapitalismus, der nur noch für sich selbst existiert, mit Vertragsverhandlungen, bei der jeder Preis sich danach richtet, wie viel man aus Dir rausholen kann ohne dich umzubringen, mit Vertragspraktiken klar erkennbar angelehnt an die Versicherungsverträge der amerikanischen Krankenversicherungsmafia, wo Du erst im Versicherungsfall erfährst, wofür Du alles nicht versichert bist. In einer solchen Gesellschaft kann es normal bis notwendig sein, ein paar dutzend Zivilisten abknallen zu lassen von einer Maschine, der man vorher das Gewissen entfernt hat. Warum genau, werden wir erfahren. Es wird eine Parabel sein auf die Welt, in der wir leben und was aus ihr werden kann, wenn wir nicht aufpassen.
Das alles passiert, keine Angst, sublim und unterhaltsam. Alle Bände bauen aufeinander auf wie Folgen einer Netflixserie. Wir ahnen noch einen großen Bang in der Zukunft: es gibt eine allgegenwärtige Alientechnologie, die wir erst im letzten Band näher kennenlernen und die spannende Fortsetzungen verspricht. Das Englisch des Originals ist lesbar, im Stil manchmal seltsam deutsch, was daher rührt, dass Murderbot in der Ich-Perspektive Dinge kompliziert umschreibt, die eigentlich ganz einfach sind. Liebe zum Beispiel, die sich zwischen genitallosen Robotern und, no s**t, noch viel genitalloseren Bordcomputern von Raumschiffen natürlich nicht mit "Schnickschnack, sie wissen schon" beschreiben lässt sondern ein wenig mehr Exploration erfordert. Ein bisschen deutsch halt.
Die deutsche Übersetzung hingegen ist leider lieblos, warum zum Beispiel, bitte, wird der im Englischen völlig normale Begriff "Clients" im Deutschen immer mit dem eher ungebräuchlichen "Klienten" übersetzt, wo es doch simple "Kunden" oder "Mandanten" sind und das die Beziehung eines mordenden Serviceangestellten zu diesen haargenau beschreibt? Ist das Faulheit oder am Ende auch nur dem Druck des Marktes, hier des Übersetzermarktes, geschuldet, der Übersetzer am Rand des Existenzminimums hält? Haben wir in Deutschland, um genau das zu Verhindern, nicht eine Buchpreisbindung? Aber auch weil der englische Text von Technologismen nur so wimmelt, sich jeder zweite Absatz mit Firewalls, Feeds und Killware beschäftigt und das im Deutschen dann immer klingt wie ein IBM Benutzerhandbuch aus dem Jahr 1986, bringt der Konsum des Buches in englischer Sprache deutlich mehr Vergnügen.
Eine Verfilmung des Materials liegt auf der Hand und der drunterlaufernde Handlungsstrang von Netflixserien biedert sich schon fast an, sie könnte aber auch schwierig werden. Die vielen technologischen Möglichkeiten, die Murderbot zur Verfügung hat um aussichtslose Actionszenen zu gewinnen, sind schon in Schriftform herausfordernd. Murderbot geht keinen Meter ohne zwanzig Drohnen um ihn herum, die ihm mit ihren Video- und Datenfeeds helfen, schneller als jeder Mensch, hochkomplexe Analysen zu erstellen und anhand derer zu handeln. Genau das wird im Buch auch beschrieben, es wimmelt nur so von Sätzen über die Veränderungen der Wahrscheinlichkeit von 85% auf 89% für Vorgehen A versus Vorgehen B und wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, fetzt das seltsam und man sieht die Welt schnell mit den Augen eines murderbot. Wenn sich Murderbot aber in einer der Episoden klont, um als reine Software, gewissermaßen als Computervirus, die Kontrolle über eine Raumstation zu bekommen, wird es selbst lesend verdammt kompliziert, verlässt einen zuweilen das Vorstellungsvermögen. Bei einer potentiellen filmischen Umsetzung denke ich dabei in der Darstellung an 90er Jahre Klassiker wie "Johnny Mnemonic" und "The Lawnmowerman" und diese Ästhetik ist nicht das einzige aus den Neunzigern, was wir alle nie mehr sehen wollen. Aber vielleicht hat ja jemand eine brillante Idee.
Bis dahin bleibt die Empfehlung eines Lesevergnügens und immenser intellektueller Stimulierung in Form der englischsprachigen "Murderbot Series" von Martha Wells und, wenn es sein muss, mit sprachlich leicht eingeschränktem Vergnügen, in der deutschen Übersetzung als "Tagebuch eines Killerbots" und "Der Netzwerk Effekt".
In der nächsten Woche bespricht Anne Findeisen von Harper Lee „Gehe hin, stelle einen Wächter“, den die Autorin bereits vor ihrem Weltbestseller „Wer die Nachtigall stört“ schrieb und der lange als verschollen galt.
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15:11
Die Diskussion - Wesjohann, Rijneveld, Blau
Episode in
Studio B
Wie jetzt jede 4. Episode von Lob und Verriss diskutieren wir die besprochenen Bücher nachdem alle die Zeit gehabt haben, in die Werke der jeweils anderen Rezensenten reinzulesen. Diesmal geht es also um Achim Wesjohanns “Freiheit statt Liberalismus”, Marieke Lucas Rijnevelds "Was man sät" und um Jessica Anya Blaus Roman “Mary Jane”
In der nächsten Episode fühlt sich Herr Falschgold einem mordendem Roboter sehr verbunden. Er bespricht “Tagebuch eines Killerbots” von Martha Wells.
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44:34
Jessica Anya Blau: Mary Jane. A Novel
Episode in
Studio B
Das Sein bestimmt das Bewusstsein. So hat es Karl Marx nicht geschrieben, sondern etwas ausführlicher: Zitat "„Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“
"Mary Jane. A Novel" wurde im Mai dieses Jahres veröffentlicht, auf dem Einband prangen lobende Worte von Nick Hornby, aber das reichte nicht aus, um das Werk für eine Übersetzung ins Deutsche zu qualifizieren. Wieder einmal schnappt die Falle des immer noch strikt zwischen ernst und unterhaltsam unterscheidendem Kulturbewusstseins zu und disqualifiziert dieses Buch von einer weiteren Verbreitung in unserer Sprache. Unterhaltsame leichte Belletristik haben wir schon genug, so das Kalkül der hiesigen Verlagshäuser. Keine der bisherigen Veröffentlichungen von Jessica Anya Blau, dies ist ihr 5. Buch, hat diese Sprachgrenze bisher überwinden können.
In der englischsprachigen Welt ist es hingegen auf allen möglichen Bestseller- und Empfehlungslisten für die Lesezeit des Sommers gelandet, und damit auch auf meinem Tisch.
Mary Jane Dillard, ist nicht nur die Protagonistin des nach ihr benannten Buches, sondern auch ihre Erzählerin, die Marxens Diktum vom Anfang als Coming of Age Story in der Mitte der 1970er Jahre zeichnet.
In einem weißen konservativen Viertel Baltimores wohnt sie mit ihren gut situierten Eltern. Sie singt im Kirchenchor, hilft ihrer Mutter im Haushalt und beim Kochen, besonders gerne macht sie Desserts. Ihren schweigsamen Vater sieht immer nur beim Abendessen, der - ein wenig holzschnittartig - zu diesen Anlässen immer zeitungslesend selten mit seiner Frau, noch weniger aber mit Mary Jane spricht. Im Wohnzimmer hängt ein Bild des Präsidenten Ford, im Gebet dankt der Vater seiner "wundervollen Frau und dem gehorsamen Kind". Mary Jane ist 14, ein perfektes Alter, um ihr Bewusstsein und damit ihr Leben zu ändern. Nichts liegt ihr ferner als Rebellion, ihre Werte sind die ihr vermittelten. Ihre Mutter besorgt ihr einen Sommerjob als Nanny für die Tochter eines Arztes namens Dr. Cone, der auf einem Missverständnis beruht: Der Arzttitel lässt sie einen ähnlichen Haushalt wie den ihren vermuten.
Während Mary Jane dem Telefonat ihrer Mutter lauscht, beschließt sie, das verdiente Geld komplett zu sparen, um am Ende des Sommers einen Plattenspieler für ihr Zimmer kaufen zu können, vielleicht sogar - Zitat: "mit zusätzlichen Lautsprechern." - Zitatende. Musik jeder Art, von christlichen Hymnen über Kinderlieder zu Rock spielt eine große Nebenrolle: in ihrer vordergründigen Art als Unterhaltung, Inspiration, aber auch als die Gefühle weckender und verstärkender Soundtrack, als Anrührung, als Erweckung.
Mary Jane ist ein zufriedener Teenager. Die ihr zugeteilten Aufgaben geben ihrem Leben eine Struktur, die sie schätzt. Aber natürlich hat sie auch Träume: ihr bis jetzt größter ist es, eine Show am New Yorker Broadway zu sehen. Sie und ihre Mutter sind nicht nur devote Kirchgänger, sondern auch Mitglieder im Show Tunes of the Month Club und bekommen jeden Monat eine neue Schallplatte. Sie hat alle Songs auswendig gelernt, und auch ihre Mutter liebt diese Platten, leider aber nicht New York, dass in ihren Worten voll von Dieben, Drogenabhängigen und Degenerierten ist.
Nun also sucht Mary Jane die Familie Cone auf um sich vorzustellen. Die falschen Annahmen ihrer Mutter über die Familie Cone sind nach dem Öffnen der Haustür sofort sichtbar: das Haus versinkt im Chaos, die Mutter trägt nicht nur keine Büstenhalter, sondern kann auch nicht kochen, Dr. Cone behandelt als Psychiater vorrangig Suchtkranke, und die 5jährige zu betreuende Tochter Izzy rennt nackt durchs Haus und schenkt Mary Jane sofort ihr Vertrauen. Deren Reaktion ist nicht so sehr Schock oder Überraschung, sondern spontane Zuneigung und Vorfreude.
Vorfreude voller Glanz, die sie auf ihrer Haut spürt, darauf, etwas zu tun, was sie nie zuvor gemacht hat, darauf, ihre Tage in einer Welt zu vollbringen, die sich von ihrer bisherigen so unterscheidet. Und so beschließt sie, geplagt vom schlechten Gewissen, ihrer Mutter zu verschweigen, wie sie die Cones vorgefunden hat und nur stumm deren Annahmen über die respektable Familie zu bestätigen.
Die Sprache von "Mary Jane: A Novel" ist leicht, nicht seicht, und verliert diese Leichtigkeit nicht, egal, mit welchen Erlebnissen Mary Jane im Verlauf des Sommers konfrontiert wird.
Jessica Anya Blau findet einen überraschenden Weg, der das Buch gegen den bekannten und in vielen Filmen erzählten Fortgang von der Ausgangslage "behütete Tochter trifft auf die Gegenkultur und geht in ihr auf/verliert sich in ihr oder wendet sich schockiert ab" abschirmt: sie gibt Mary Jane Persönlichkeit, die ihrerseits auf ihr neues Umfeld wirkt: die fünfjährige Izzy nimmt sie als Respektsperson wahr und stürzt sich voller Begeisterung in alle Projekte, die Mary Jane beginnt und anstößt, um den Haushalt der Cones zu organisieren und auszumisten. Mary Jane wird aber auch von den Erwachsenen im Umfeld ihres Sommerjobs respektiert und nicht als anzuleitender Teenager, sondern als Person mit eigenen und zu unterstützenden Ideen wahr- und in die Gemeinschaft gleichberechtigt aufgenommen. Der Grund für Mary Janes Verpflichtung als Izzys Nanny ist die neue Arbeit von Dr. Cone, der über den Sommer den inkognito angereisten Rockstar Jimmy von seiner Sexsucht via Gesprächstherapie heilen soll. Begleitet wird er von seiner bezaubernden Ehefrau Sheba, die weitaus bekannter als Jimmy ist, weil sie als singende Schauspielerin der TV Nation berühmt wurde.
Mary Janes Ideen sind teilweise pragmatisch, wenn sie das Haus ausmistet; wunderbar naiv, wenn sie über einen längeren Zeitraum versucht herauszufinden, ob sie auch sexsüchtig ist, weil sie oft daran denkt, ohne je geküsst worden zu sein; einfallsreich, wenn sie unter dem Vorwand, auch kochen zu müssen das jeweilige Wochenmenü ihrer Mutter nachkocht. Die Erlaubnis hierfür und dafür auch die Abende bei den Cones verbringen zu können bekommt Mary Jane, weil ihre Mutter wieder einmal Annahmen trifft, die falsch sind, denen ihre Tochter aber nicht widerspricht, sondern sie schweigend hinnimmt: nämlich, dass eine Frau, hier Frau Cone, sehr krank sein muss, wenn sie nicht in der Lage ist zu kochen. Eine Vorstellung, die für Mary Janes Mutter nur möglich ist, wenn diese Frau Krebs hat.
Eine großes Thema des Buches ist, worüber und durch wen über etwas gesprochen wird. In Mary Janes zu Hause herrscht Schweigen, die für eine Konversation zulässigen Objekte und Vorkommnisse sind stark reglementiert und zementieren damit ein Leben, dass keine Adaptionen zulässt und die Zeit mit ihren gesellschaftlichen Änderungen versucht fernzuhalten, in einen starren immergleichen Wochenablauf eingezwängt.
Im Hause der Cones ist dies anders, gesprochen wird über alles, es wird versucht allen Gehör zu geben, Persönlichkeit und künstlerischer Ausdruck - vorrangig durch Musik - werden anerkannt und respektiert. Am Ende des Sommers hat Mary Jane die Welt kennengelernt, Vertrauen in sich selbst und Selbstvertrauen in die Schönheit ihres Gesangs gewonnen.
Vielleicht hätte es der Zusammenfassung der Entwicklung von Mary Jane am Ende nicht bedurft, die etwas holzhammerartig darauf hinweist, dass Mary Jane nun die Angst erkennen kann, die ihr meist sprachloser Vater verbreitet, sein Rassismus, sein Antisemitismus, seine Verweigerung, über all dies zu sprechen und seine Familie als Diskussionspartner anzuerkennen. Izzy, die wirklich reizende 5jährige, nervt manchmal ein bisschen, und die Fähigkeit der Cones und ihrer Gäste, über alles zu sprechen, Verletzungen zuzufügen und auch heilen zu können, scheint manchmal dezent unrealistisch. Das Vergnügen an Mary Janes Geschichte über ihren Sommer auf dem Weg zum Erwachsenwerden, in dem ihr der moralische Kompass, den sie in ihrem Elternhaus bekommen hat zugute kommt und die Erlebnisse mit den Cones ihre Welt öffnen; der Zauber der Magie erster Erfahrungen aller möglichen Dinge, die beschwingte Unterstützung all dessen durch Musik ist groß.
Nächste Woche diskutieren Anne Findeisen, Irmgard Lumpini und Herr Falschgold die Bücher der letzten Wochen.
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09:14
Marieke Lucas Rijneveld 'Was man sät'
Episode in
Studio B
Im Jahr 2018 in der Originalausgabe in Amsterdam erschienen, ist Marieke Lucas Rijnevelds Debütroman „Was man sät“ seit 2019 auch beim deutschen Suhrkamp Verlag erhältlich. 2020 gewann es zudem den International Booker Prize, wodurch sie mit nur 29 Jahren die erste und jüngste niederländische Preisträgerin wurde.
Die Geschichte setzt ein, als die Protagonistin, die nie namentlich genannt, sondern von allen nur mit dem Spitznamen Jacke angesprochen wird, 10 Jahre alt ist. Sie lebt mit ihrer Familie, bestehend aus den zwei älteren Brüdern Matthies und Obbe und der jüngeren Schwester Hanna sowie ihren Eltern, auf einem Bauernhof, der von der Rinderhaltung lebt. Nachdem auf ersten wenigen Seiten das Leben auf dem Land und in der streng orthodox-kalvinistisch lebenden Familie beschrieben wird, führt die Autorin schnell zu dem Ereignis hin, das prägend für die Familie und damit den weiteren Verlauf des Romans sein wird. Es ist kurz vor Weihnachten und da Jacke befürchtet, ihr Vater könnte ihr geliebtes Kaninchen als Weihnachtsbraten verwenden, betet sie kurzerhand zu Gott, er möge stattdessen doch lieber ihren Bruder Matthies nehmen. „Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen“, besagt ein altes Sprichwort. Und so wird auch Jackes Wunsch auf tragische Weise Realität.
Kurz vor Weihnachten verlässt Matthies das Haus um Schlittschuh laufen zu gehen und bricht an einer noch zu dünnen Stelle im Eis ein. Sein Verschwinden wird viel zu spät bemerkt und so kehrt er nicht mehr lebend nach Hause zurück. Der Verlust des Bruders und Sohnes schwebt von nun an über allem und jedes Familienmitglied versucht bewusst oder unbewusst seinen Umgang damit zu finden. Während der Vater sich von der Familie zurückzieht und vielleicht zumindest in der Arbeit noch einen Sinn sehen kann, hört die Mutter allmählich auf zu essen. Nach dem Tod ihres Sohnes kann sie auch im übertragenen Sinn nichts mehr aufnehmen; nichts geht mehr in sie hinein und so magert sie schließlich ab. Aber sie kann auch nichts mehr abgeben, was zur Folge hat, dass weder sie noch der Vater sich mit ihren noch lebenden Kindern auseinandersetzen. Sie sind nicht mehr in der Lage ihren Kindern Liebe zu schenken, nicht einmal in Form von kleinen Berührungen nach denen sich, vor allem Jacke, so sehr sehnt. Der große Verlust beherrscht das tägliche Familienleben und führt auch zur Entfremdung innerhalb der Familie.
Das beklemmende und bedrückende Gefühl, das sich bei mir während der Lektüre einstellte, wurde auch noch dadurch verstärkt, dass die Protagonistin selbst durch die Geschichte führt. Das heißt, alle Schilderungen, Gefühle und Worte sind so gewählt, wie es auch ein Mädchen dieses Alters tun würde. Ihre Unwissenheit und Unsicherheit Dingen gegenüber die sie noch nicht kennt, schlagen sich somit auch sprachlich nieder und machen es umso leichter und manchmal fast schmerzhaft, sich in ihre Gefühlswelt hineinzuversetzen.
“Hanna umarmt mich schnell, sie hält mich fest, wie sie ihre Puppen festhält, unter den Achseln. Vater und Mutter knuddeln nie, bestimmt weil dann etwas von den eigenen Geheimnissen am anderen kleben bleibt, pappig wie Vaseline. Darum umarme ich auch nie von mir aus: Ich weiß nicht, welches Geheimnis ich hergeben möchte.” (S. 200)
Die beiden Schwestern sind auch die Einzigen, die in der Lage zu sein scheinen, sich noch gegenseitig Zuneigung und Nähe schenken zu können. Gemeinsam denken sie sich Pläne aus, um auf die andere Seite des Sees zu gelangen. Ein Fluchtpunkt den sie auserkoren haben, ein Ort an dem alles besser sein wird, als es zu Hause ist und an dem sie am liebsten sofort sein möchten. Es sind Träumereien, die ihnen helfen den Alltag zu überstehen und sie die Hoffnung nicht aufgeben lassen, dass es eine gute Zukunft für sie geben kann.
Ihr Bruder Obbe hingegen hat andere Methoden bzw. Ticks entwickelt, um den Verlust des Bruders zu ertragen. Sich selbst zu verletzen, indem er mit dem Kopf gegen das Bettgestell schlägt oder auch das Töten von Tieren, sind sowohl physisch als auch psychisch schmerzhafte Strategien. Ohnehin spielen Gewalt, aber auch Sexualität und Exkremente eine fortlaufend große Rolle im Roman. Die Protagonistin, deren Namen der Lesende nie erfährt, trägt ihren Spitznamen „Jacke“, weil sie selbige nie auszieht. Ihre rote Jacke ist ihr Schutzschild gegen die Außenwelt, noch mehr aber bietet sie ihr einen Zusammenhalt nach innen. Sie sammelt kleine Dinge, wie die Schnurrhaare ihres Hasens, in ihren Taschen. Symbole des Sich-an-etwas-festhalten-müssens, um sich nicht auch noch selbst zu verlieren. Nicht einmal ihren Kot ist sie mehr bereit abzugeben: „Ich konnte meine Kacke festhalten, nichts, was ich nicht loswerden wollte, brauchte ich ab jetzt zu verlieren.“ (S. 42) Ihre Namenlosigkeit, die einerseits Unauffälligkeit symbolisiert, steht andererseits im starken Kontrast zu dem Wunsch, einmal für jemanden etwas ganz Besonderes zu sein.
Der Tod ist allgegenwärtiges Thema im Roman und kommt nicht ausschließlich durch den Verlust des Bruders und Sohnes zum Ausdruck, sondern manifestiert sich beispielsweise auch in der Nahrungsverweigerung der Mutter oder dem Essen von bereits angeschimmeltem Brot. Er zerstört die Ordnung und das Familiengefüge. Aber auch die Religion ist, wie es der Titel des Buches bereits anklingen lässt, ein maßgebliches Motiv. Selbst in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen, webt Marieke Lucas Rijneveld immer wieder Zitate aus der Bibel ein. „Wer wind sät, wird Sturm ernten“ heißt es in der Bibel bei Hosea 8 Vers 7. Es verweist auch auf das Schuldgefühl, dass die einzelnen Familienmitglieder an Matthies Tod mit sich tragen. Zentral ist dabei Jackes anfänglicher Wunsch, Gott möge doch lieber ihren Bruder als ihr Kaninchen zu sich nehmen. Aber auch als im Dorf die Maul- und Klauenseuche ausbricht und auf dem Hof alle Rinder geschlachtet werden müssen, empfinden dies die Eltern als Plage und Strafe Gottes zugleich und sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, womit sie diese verdient haben.
Marieke Lucas Rijneveld gliedert ihren Roman in drei Teile und nutzt damit, bewusst oder unbewusst, die klassische Dramentheorie nach Aristoteles. Sie verarbeitet in ihrem Roman einen eigenen persönlichen Verlust, nämlich den Tod ihres Bruders als sie drei Jahre alt war. Schonungslos ist dabei ein Begriff, der einem beim Lesen unweigerlich in den Sinn kommt. Erstens mit ihren Figuren, die dem bäuerlichen Hof und der zunächst vermeintlichen Idylle auf dem Land nicht entkommen können. Eltern die den Verlust ihres Kindes nicht verkraften können, und dabei außer Stande sind, sich weder gegenseitig zu stützen und gemeinsam zu trauern noch für ihre noch lebenden Kinder ein zu Hause der Geborgenheit, des Aufgehobenseins und der Stabilität zu ermöglichen. Jeder trauert für sich allein und die Gedanken an das verstorbene Kind, lassen alles andere in der Hintergrund treten. Aber auch Jacke, Hanna und Obbe sind gefangen. Nicht nur in einer Welt aus Trauer und dem Wunsch nach Normalität, sondern auch im natürlichen Prozess des Heranwachsens, der zunehmend von Gewalt, Sexualität und dem Gefühl der Ausweglosigkeit geprägt ist. Aus dieser, sich immer mehr verdichtenden und beklemmenden Situation, lässt sie, zweitens, auch den Lesenden nicht heraus. Fast schmerzhaft wird der Prozess des Lesens mit Fortgang der Geschichte und auch die Vorahnung, dass es kein Happy End geben wird, wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Drittens kennt aber auch die Autorin für sich selbst keine Gnade und unternimmt keinen Versuch etwas zu verharmlosen, zu beschönigen oder Hoffnungen zu wecken, wo es keine gibt.
Einmal in den Bann des Romans hineingezogen, kann man sich ihm schwerlich wieder entziehen. Wenn es gelingt sich darauf einzulassen, wird man Teil einer Welt die viel Unerbittliches, aber auch viel Fragiles und Beschützenswertes bereit hält. Ein gewaltiger Roman, der viele sprachliche Metaphern in sich birgt, die genau ins Schwarze treffen. Keine schöne Geschichte im herkömmlichen Sinne, aber eine ganz klassische Empfehlung.
In der nächsten Woche bespricht Irmgard Lumpini "Mary Jane: A Novel" von Jessica Anya Blau, eine sommerliche Coming-of-Age Story im 1970er Jahre Baltimore, die Marxens Diktum "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" unterstreicht.
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08:53
Achim Wesjohann: Freiheit statt Liberalismus
Episode in
Studio B
Das Studio B mit dem bedrohlichen Untertitel "Lobpreisung und Verriss" als Podcast & Radiosendung für Literaturkritik gibt es seit erstaunlichen vierzehn Jahren und in zumindest den letzten fünfen hat sich mit dem Team Lumpini/Findeisen/Falschgold eine gewissen Arbeitsteilung herauskristallisiert. Brutal stereotypisierend gesagt, erklärt Irmgard Lumpini an ausgewählten Werken gerne die kleinen und noch lieber die großen politischen Themen, legt die literturstudierte Anne Findeisen in ihren besprochenen Büchern Wert auf ausgewählte Sprache und Herr Falschgold berichtet sporadisch aber unerschütterlich der Hörerschaft von Fantasy und Utopie.
Und so bietet es sich doch an zum Start einer neuen Ära für das Studio B mit wöchentlichen Podcastepisoden, transkribierten Rezensionstexten und Nutzung der up- und coming Plattform substack ein Werk zu besprechen, dessen Autor in feinster Sprache und studierter Rhetorik von einer politischen Phantasie träumt: einer spektrums- und damit parteienübergreifenden Republikanischen Bewegung in Deutschland. Was ein Freak!
Der Freak heißt Achim Wesjohann, ist ein Niedersachse, der in Dresden lebt, sein Geld als Geschäftsführer der Grünen im sächsischen Landtag verdient und mittelalterliche Geschichte und Politik studiert hat.
Als wir im März letzten Jahres auf einmal alle sehr viel Zeit hatten, nahm er sich diese um in sechs Artikeln Grundlegendes zu Besprechen. Das ganze passierte in Blogform, den Namen des Blogs, "Wesjohanns Worte", erwähnen wir hier einmalig und breiten den Mantel betretenen Schweigens über ihn. Zusammengefasst ergäben die sechs Artikel mit Titeln wie "Freiheit statt Liberalismus", "Republikanismus" oder, oje, "Tugend", ein kleines Bändchen, welches, soviel Lob vorab, die Veröffentlichung in Buchform verdient.
Warum?
Achim Wesjohann beginnt mit einem kurzen, scharf umrissenen Bild von dem, was wir heute "Liberalismus" nennen. Je nach Herkunft und politischer Bewußtwerdung hat jeder seine eigene postive oder negative Haltung zum Wort und füllt es mit seiner eigenen Bedeutung, meist: "Irgendwas mit Freiheit". Klingt total super, ist aber so falsch wie wenig hilfreich, wenn wir alle ein Problem haben, mit dem Liberalismus.
"Haben wir alle ein Problem mit dem Liberalismus?", fragt der Leser.
"Haben wir.", antwortet Wesjohann.
Zur Beweisführung braucht es ein paar Definitionen, die grundlegendsten ist, das, scheinbar wertneutral, des Liberalismus These ist, dass der größte Nutzen in einer Gesellschaft erreichbar sei, wenn jeder einzelne seine Interessen nur konsequent verfolge. Mein Konjunktiv gibt meine aktuelle Einstellung zu Sache wieder, Wesjohann macht das dankenswerter Weise deutlich professioneller, ohne dass Langeweile aufkommen muss. Zitat: "Der Grundgedanke des Liberalismus ist in seiner Einfachheit so bestechend wie defizitär."
oder "Pluralismus ist unabdingbar, aber die Gleichberechtigung gefühlter Wahrheiten.. ..mit tatsächlich wissenschaftlich fundierten Stellungnahmen erweist sich als eine Entwicklung, die mit Wahrheitsfindung nichts mehr zu tun hat." hört man Wesjohann ein bisschen in sich reinkichern beim Schreiben. Wir erhalten einen fundierten Streifzug durch die Spielarten des Liberalismus in der jüngeren Vergangenheit und jeder zweite Satz ist zitierbar, weil hier jemand schreibt, der scharf formulieren kann ohne auf Effekte setzen zu müssen.
Achim Wesjohann gibt uns damit aber auch Einblicke in sein politisches Seelenleben, was sympathisch ist und der Sache dient, wir lesen hier schließlich keine Dissertation, sondern ein politisches Statement, ja ein Pamphlet, und es hilft ja prinzipiell eines Autors Haltung zur Sache zu kennen, um eine Meinung zu Thema und Text zu entwickeln.
Der Grundkonflikt den Wesjohann mit dem Liberalismus hat, ist, dass sich dieser in den letzten 40 Jahren als "Individualismus over alles" definiert hat, ein in sich geschlossenes Weltbild, wie auch Wesjohann anerkennen muss, welches als Credo hat, alles, was die Interessen des Individuums beschränke, sei einzuschränken.
Klingt ohne drüber nachzudenken nicht wirklich schlimm, wer mag schon eingeschränkt leben. Darüber nachzudenken lädt uns der Autor jedoch ein und es ist ja auch wirklich nicht schwer:
Wenn wir auf der einen Seite des Freiheitsspektrums aktuell Silicon Valley Milliardäre haben, die mit Plattformen zur freiesten aller Meinungsäußerungen ihr Geld verdienen und auf der anderen Seite diejenigen, die auf diesen Plattformen, total frei, z.B. einen Präsidenten ins Weiße Haus manipulieren, der um ein Haar die ganze schöne Freiheit einkassiert und dass lupenreine Demokraten auf der östlichen Seite des Globus das dazu benutzen, in ihren total demokratischen Staaten die Plattformen zur freiesten Meinungsäußerung zu verbieten, man sieht ja was bei rauskommt, dann muss man nicht groß nachdenken um zu wissen: die Freiheit ist leicht in Gefahr.
Nur, wer meldet sich, sie zu beschützen? Die mit den Plattformen? Die mit dem Geld für die Lobbyarbeit? Die gegen den Mindestlohn, die den Leuten damit drei Jobs abverlangen, bis sie abends vor Erschöpfung nicht mehr denken können? Die gegen öffentlich-rechtliche Medien sind? Also die, die die Massen aus Versehen, absichtlich oder irgendwas dazwischen, zur Manipulationsmasse machen, kurz: Die Liberalen?
"Danke, setzen." sagt Wesjohann und präsentiert uns eine Idee.
Aber, bevor er das tut und weil kein Autor nur von sachlich hergeleiteten Argumenten leben kann, hier: "Liberalismus: gute Idee, leider unpraktisch", lässt Wesjohann in “Freiheit statt Liberalismus II” kurz die Boxhandschuhe weg und das Blut spritzen. Mir ist's Recht und es artet nicht so aus, dass es die fundierten Ansagen des ersten Teils unterminierte. Im Gegenteil zeigt sich schnell, wie Recht man als Autor (und Spaß als Leser) auch mit härteren Aussagen haben kann. Zitat "Die altgriechische Bezeichnung idiotes für Menschen, die sich nur um ihre privaten Angelegenheiten interessieren und sich vom politischem Leben fernhalten, soll nicht wertend gewesen sein, aber die Formel „privat statt Staat“ kann man heute mit Recht idiotisch finden. Von dieser Art Freiheit werden die Reichen immer mehr haben, weil sie sich den Verzicht auf öffentliche Institutionen leisten können. Für alle anderen bedeutet dieser Verzicht das Fehlen von Teilhabemöglichkeiten, also von Möglichkeiten der Selbstentfaltung. Das ist der (vielleicht nur scheinbar) paradoxe freiheitsbeschränkende Effekt des Liberalismus." Wirkungstreffer, die Runde geht an Wesjohann.
Jetzt aber, im ganz einfach "Republikanismus" überschriebenen dritten Teil, tut der Autor nun Butter bei die Fische, wie man wohl in Niedersachen sagt, was weiß ich schon als Zoni. Als ein solcher zucke ich zunächst ob des Wortstammes zusammen, waren doch die "Republikaner" in meiner Jugend, kurz nach der Wende in die beigetretenen Gebiete eingezogen, sich mit der, mich schon in der seligen DDR peinigenden zonalen Neonaziszene zu verbünden, um nicht nur Ausländer nicht nur rauszuschmeißen. Wesjohann geht darauf mit keinem Wort ein, dass ist hier ein Text über Republikanismus, nicht über "die Republikaner", also hör' auf zu zucken.
Ok, wir verstehen, es geht um die Republik, die res publica, das Gemeinwesen, demokratisch organisiert. Und obwohl wir ob des Liberalenbashing der ersten beiden Kapitel befürchteten, es gehe um die Republik als Alternative zum Liberalismus, macht uns Wesjohann klar, dass er den Republikanismus, das Gemeinwohl also, als den eigentlichen *Verteitiger* des Liberalismus sieht. Freiheit als Abwesenheit der Unterdrückung durch "Mächtige" funktioniert nur, wenn Du selbst ermächtigt bist und ermächtigt bist Du in einer Republik. Darauf kann man auch selbst kommen.
"Ermächtigung" klingt super, wenn man sie als "Machtteilhabe", also, zumindest einen "Teil Macht haben" umstellt wird es immer reizvoller, wer will nicht wenigstens einen kleinen Teil Macht im Leben. Wenn man sich aber herkömmliche Machthaber anschaut, sind das alles 80h-Arbeitswochentiere und selbst wenn man nur ein klitzekleines Bisschen was zu sagen haben will, muss man eventuell ein paar Abende statt im Biergarten in den Zentralen der republikanischen Macht verbringen. Bürgerrechte sind auch Bürgerpflichten, Frau Bierliebhaberin. Und wenn man schon keine Lust hat im Zentrum der Macht einer Ortsbeiratssitzungen zu sitzen, muss man sich überlegen, ob es nicht gerade derzeit wichtig ist an den Außengrenzen des eigenen Machtbereiches aktiv zu werden. Wie oft zum Beispiel ist der gemeine Biertrinker bei Anti-Pegida-Kundgebungen? Und da fangen wir noch gar nicht an, davon zu reden, was passiert, wenn das Gemeinwesen nicht von innen sondern von Außen bedroht ist. Wehrpflicht, Baby!
Hier purzeln wir vom woken Traum in die Realpolitik. Wesjohann, als Grüner in Sachsen in dieser traumlosen Welt zu Hause, nimmt das entsprechend nicht zum Anlass zu jammern und verzagen, er geht in den Angriff und argumentiert, Achtung, wir kommen zur Grundidee: wenn hier schon so mancher Linke seine Traumwolke verwehen sehen wird, um die Freiheit zu verteidigen, kann man das doch dem Konservativen oder gar dem Liberalen zum Vorbild halten, Opfer in seinen ideologischen Himmelreichen zu bringen und, sich, von mir aus die Nase zuhaltend, mit dem "politischen Gegner" parteiübergreifend republikanisch zu organisieren, gewissermaßen eine Metapartei zu gründen, im Interesse und zum Schutz der Freiheit aller Bürger und damit der Republik.
Was ein Freak, der Wesjohann.
Und ein mutiger zudem. Kaum hat er den lesenden Progressiven mit "Wehrpflicht" geschockt legt er mit "Patriotismus" nach und schafft es dabei mir argumentativ sowohl die Angst vor ihm ein wenig zu nehmen (vor dem Heimatstolz nicht dem Wesjohann) als auch so manchem interessierten Nationalkonservativen einen kleinen Angstschiss zu bereiten, mit dem sehr schön beiläufigen Fallenlassen eines "Ideal einer Weltrepublik". Ich konnte keine Ironie erkennen und habe mich köstlich amüsiert.
Und wenn wir alle miteinander schon mal kalt geduscht sind, macht unser Autor gleich weiter mit dem zwangsläufigen Thema "Staatsbürgerschaft". Dort wird es ebenso zwangsläufig sehr schnell eng zwischen zwei Argumenten: Diese sind auf der einen Seite Zitat, "Wer wählt sollte Bürger*in des Staats.. ..sein" (und mit "sollte" ist eindeutig "muss" gemeint) und, wieder Zitat und sehr mutig, dass "der Zugang zur Staatsbürgerschaft ohne weiteres möglich sein muss". Auf der anderen Seite steht die nicht nur metaphorischen Mauer, die man doch bauen muss um Feinde der Freiheit von einer Republik fern zu halten. Das weiß Wesjohann natürlich und ist groß genug zuzugeben, dass man mit dem Loblied auf die Republik nicht alle deren Unvollkommenheiten lösen kann.
Ob clickbait oder Freude an der Provokation, Teil 5 des Textes müsste wieder mit einer Triggerwarnung versehen werden, denn "Tugend" wird im Allgemeinen in CDU-Parteiprogrammen verortet, nicht in vorwärts gewandten Blogbeiträgen. Ok, wir klicken und atmen erleichtert auf, es war clickbait, Wesjohann erspart uns metaphorische Ausflüge in katholische Mädchenheime und vertieft statt dessen noch einmal den Umstand, dass Freiheit nicht (allein) Besitz sein kann sondern (zwingend) Teilhabemöglichkeit benötigt. Und er geht einen Schritt weiter und zeigt auf, dass es mit der alleinigen Möglichkeit leider nicht getan ist, sorry, no Biergarten today, Ortsbeiratssitzung it is, denn nur wenn Du Dich einbringst, kannst Du verhindern, dass der Biergarten einem Parkplatz weicht. Oder auf lateinisch "et quae, si aequa non est, ne libertas quidem est", aha, der Cicero wird zitiert. Frei übersetzt: "Demokratie, baby!". Glaube ich, Wesjohann hat das schließlich studiert.
Brachte Kapitel 3 argumentativ die Butter bei die Fische kommen zum Schluss die Stampfkartoffeln. Wie wird aus einer republikanischen Idee eine republikanische Tat, eine Bewegung gar? Seit 2010 heißt das "Agenda", so auch dieses Kapitel. Wir versuchen unser Unwohlsein zu verbergen und lesen von einem Demokraten der sichtlich erschöpft ist von der Dummheit des Freiheitstheaters zwischen "Freie Fahrt für freie Bürger" und dem Kampf ums "Zigeunerschnitzel". Wir lesen von einem lebenslang engagierten Autoren, einem der, erstaunlich genug, noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben hat, er wünsche sich eine Versammlung, ein Forum, in dem sich Menschen um einen republikanischen Minimalkonsens herum treffen und endlich wieder etwas substantiell besprechen und dabei noch nicht einmal Antworten finden müssen, sondern zunächst Fragen stellen sollen. Er wirft gleich mal zwei in die Runde, den Patriotismus und die Dienstpflicht an der Gesellschaft. Zugegeben, damit bekommt man ein stattliches Spektrum Menschen mit einer stattlichen Fülle an Argumenten, und so das Ziel, zusammen. Oder auch nicht.
Wesjohanns Wortbeitrag (ich bitte um sofortige Umbenennung des Blogs) kommt aus der Mitte der Gesellschaft ohne opportunistisch zu sein und ist radikal ohne an den Rändern zu fischen. Er beantwortet bewusst fast keine der von ihm gestellten Fragen, dazu ist er lange genug in der Politik.
Das hier ist eine Rezension, also sollte die Frage beantwortet werden: "Guter Text?", nicht "Richtiger Text?" Eine Antwort erhält Wesjohann vielleicht mal in einem Essay im Studio P, wie Politik oder Polemik, hier im Studio B, wie Buch, erhält er von mir die Bestätigung, dass es einem alten Kyniker wie dem Herrn Falschgold ein bisschen warum ums Herz geworden ist. Ich war nie Nichtwähler, dazu haben wir uns 89 zu lange auf den Straßen rumgetrieben und, zugegeben, war ich auch nie FDP-Wähler, weil, äcks. Aber eine heftige Portion Verdrossenheit mit der deutschen politischen Umgebung ist schon lange da, ich habe nicht umsonst kein Abo einer deutschen Zeitung, dafür zwei aus dem westlichen Ausland.
Aber das kann sich ändern, wenn Achim Wesjohanns Vision auch nur einen Hauch näher an die Realität rückt. Ich sehe mich nicht im Ortsbeirat, geschweige denn in höchsten Ämtern, aber mal ganz im Ernst: am Ende werde ich Republikaner.
Bitte reißen Sie diesen Nebensatz jetzt aus dem Zusammenhang.
Nächste Woche geht es Anne Findeisen um eine Autorin, nämlich Marieke Lucas Rijneveld, die viele sicher von der kürzlichen Debatte um die Übersetzung des Gedichtes von Amanda Gorman zur Amtseinführung Joe Bidens kennen. Besprochen wird ihren Roman “Was man sät”.
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14:59
Wir sind neu hier
Episode in
Studio B
Als im Sommer 2007 Herr Falschgold und Frau Irmgard Lumpini ihre Literatursendung “Studio B - Lobpreisung und Verriss”, die monatlich beim Dresdner Radiosender coloRadio lief, parallel im Internet als sogenannten Podcast veröffentlichten, war der Youtuber Rezo (der mit den Haaren und der zerstörten CDU) 15 Jahre alt. Steve Jobs war noch ein Psychopath mit Geschmack, die Bundeskanzlerin hieß, äh, Angela Merkel. Ok, der Punkt ist, wir machen das schon sehr, sehr lange.
Mein Zeichenlehrer Zetsch, damals, kurz nach dem Krieg, ein weiser Alkoholiker, wiederum, gab mir, damals, kurz nach dem Krieg, auf den Weg: “Falschi, wenn Dir jemand sagt, dass er etwas schon sehr lange macht, was sagst Du ihm dann? Richtig: Man kann etwas auch sehr lange falsch machen.”
Aber was ist schon richtig, was ist falsch. Nun, in Sachen Podcast, damals 2007, kurz nach dem Krieg, hat Dir ja niemand gesagt, was Du machen sollst mit deinem Podcast, also kam der am Tag der Radiosendung raus, alle ein bis zwei Monate, an einem Donnerstag. Wer sich für Literatur interessierte und cool war ging in das Internet und hörte die Show mit seinem winamp player unter Windows 95 und knabberte dazu einen Raider. Danach ging es in die Schule, barfuß, auch im Winter. Wir hatten ja gar nichts.
Heutzutage, wo selbst die Bundeskanzlerin einen Podcast hat und auch der alte Zetsch im Altersheim den auf seinem Handy abonnieren kann, haben sich die Hörgewohnheiten soweit etabliert, dass man sagen muss: einen Podcast alle ein bis zwei Monate veröffentlichen ist Quatsch. Podcast-Episoden will die aufgeklärte Literaturfreundin einmal die Woche hören, und zwar immer am gleichen Tag und weil sie manchmal einfach nicht multimedial unterwegs ist, will sie die Wahl haben, unseren sonoren Stimmen zu lauschen oder das Transkript zu lesen. Es macht ja heutzutage jeder was er will..
Und so sei es: Künftig kommt Studio B jeweils am Sonntagmorgen in Euren Podcastplayer. Natürlich wird das keine Stundensendung, wir machen ja noch was anderes als immer nur Lesen, Lesen, Lesen und an die Leser denken. In Rotation wird es jeweils eine Rezension von Anne Findeisen, Irmgard Lumpini oder mir, dem Herrn Falschgold geben und in der vierten Woche dann die berüchtigte Diskussion über die rezensierten Bücher der Vorwochen. Das gibt den Abonnentinnen die Möglichkeit, die Bücher bis zum Erscheinen der Diskussionsepisode zu lesen und beim Hören wütend lautstark zu protestieren. In der U-Bahn, unterm Kopfhörer, damit alle was davon haben.
Gleichzeitig erscheint das Transkript der Rezension auf unserer neuen Plattform substack unter der Adresse lobundverriss.substack.com. Dort kann man sich in einen absolut und garantiert spamfreien Newsletter eintragen und erhält am Sonntagmorgen Transkript und Podcast-Episode zum sofortigen Verzehr in seine E-Mail-Inbox.
Weder Sorge noch Arbeit müssen sich bestehende Abonnenten des Podcast machen. Die braucht das alles nicht zu interessieren, für sie ändert sich nichts, alle neuen Episoden werden im aktuellen Podcastfeed auftauchen. Auch die alte Website mit allen Episoden seit 2007 bleibt unter der alten Adresse erhalten.
Zusammengefasst: Studio B - Lobpreisung und Verriss erscheint künftig jede Woche am Sonntagmorgen. Hören kann man das alles wie bisher im Podcastplayer der Wahl, künftig jedoch auch lesen auf lobundverriss.substack.com oder per E-Mail, wenn man sich ebendort für den Newsletter anmeldet.
Wir sind begeistert.
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04:39
Irmgard Lumpini - Susie Steiner und Janet Evanovich und Lee Goldberg
Episode in
Studio B
Zitat Susie Steiner: "Autorin Susan Steiner, die vor der Veröffentlichung ihrer Werke viele Jahre als Journalistin für den Guardian gearbeitet hat, gesteht ihren gebrochenen Heldinnen mehr als die oft in Krimis zu findende plakative Eindimensionalität zu, in der eine pittoreske Marotte oder Vorliebe komplexe Charaktere zurechtstutzt und als Wiedererkennungsmerkmal eingesetzt wird."
Zitat Evanovich: "Die Funken der Attraktion sprühen, im Stile von Ocean's Eleven werden weitere holzschnittartige Protagonistinnnen, die jeweils Meister ihres Fachs sind, für immer absurdere Scams herangezogen, um diverse Superschurken zu stellen und ihnen das Handwerk zu legen."
06:22
Herr Falschgold - Robert Thorogood - The Marlow Murder Club
Episode in
Studio B
..Was zum Teufel ist ein Murder Club, fragt man sich bange? Es scheint, beruhigt man sich schnell, um die Aufklärung des Mordes zu gehen, denn Judith mochte ihren Nachbarn Stefan und die Polizei, in Person von Inspektor Tanika Malik scheint bemüht, aber bloody clueless..
11:38
Anne Findeisen - Tove Ditlevsen - Kindheit
Episode in
Studio B
In Kindheit begleiten wir ein heranwachsendes Mädchen, dass geleitet wird von seinem Drang, seinem ich muss, Dichterin zu werden. Die schnörkellosen, sorgfältigen und feinsinnigen Beschreibungen lassen das Geschilderte ganz nah erscheinen und am Innenleben der Protagonistin, welches sich wenig von dem der Autorin unterscheiden mag, teilhaben..
07:08
Susie Steiner: Die Manon-Bradley-Trilogie und
Janet Evanovich und Lee Goldberg: die Fox-und-O'Hare Serie
Episode in
Studio B
Listen now |
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06:09
Tove Ditlevsen: Kindheit
Episode in
Studio B
Listen now | Sie fragen, ob ihre Verse gut sind. [...] Gehen Sie in sich. Erforschen Sie den Grund, der Sie schreiben heißt; prüfen Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt, gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben müssten, wenn es Ihnen versagt würde zu schreiben. Dieses vor allem: fragen Sie sich in der stillsten Stunde der Nacht:
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06:54
Robert Thorogood: “The Marlow Murder Club”
Episode in
Studio B
Listen now (11 min) | Miss Bechdel oder Der whodunit in Zeiten des Feminismus Ein Tag voller Stress, der Winter hat uns im Griff. Wir drehen die Heizung auf die 5, setzen uns in den tiefen, weichen Fernsehsessel, den Feierabendwhisky in der Hand. Die Show beginnt, immer, mit einem “fade from black”. Also kein harter Schnitt, nein, ein sanftes Einblenden. Eine Oboe spielt ein altes Lied. Wir erkennen es wieder. Die Landschaft sattgrün, die Kamera wackelt ein wenig, wir schauen mit ihr in ein fremdes Land.
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11:24
Herr Falschgold - Daniel Kehlmann - Tyll
Episode in
Studio B
Daniel Kehlmann schreibt uns eine subtile, vielschichtige Geschichte über Geschichte und Geschichtsschreibung, ihr Selbstbild und unsere Bild *von* ihr. Was beginnt, wie ein Sittengemälde des Mittelalters, jaja, Renaissance, entwickelt sich zu einem Spiegelsaal voll mit Blendern, eingebildeten Wissenschaftlern und aus der Zeit gerissenen Zeugen.
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Nacidos de la Bruma audio voz humana.
Durante mil años los skaa han vivido esclavizados y sumidos en el miedo al Lord Legislador, que ha reinado co n un poder absoluto gracias al terror y a la poderosa magia de la «alomancia». Kelsier, el Superviviente, el único que ha logrado huir de los Pozos de Hathsin, encuentra a Vin, una pobre chica skaa con mucha suerte.
Los dos se unen a la rebelión que los skaa intentan desde hace un milenio y vencen al Lord Legislador. Pero acabar con el Lord Legislador es la parte sencilla. El verdadero desafío consistirá en sobrevivir a las consecuencias de su caída.
En El héroe de las eras se comprende el porqué de la niebla y las cenizas, las tenebrosas acciones del Lord Legislador y la naturaleza del Pozo de la Ascensión. Vin y el Rey Elend buscan en los últimos escondites de recursos del Lord Legislador y descubren el peligro que acecha a la humanidad. ¿Conseguirán detenerlo a tiempo? Updated
CUENTOS DE LA CASA DE LA BRUJA
Los Cuentos de la Casa de la Bruja es un podcast semanal de Ficción Sonora y Audiolibros de Misterio, Ciencia Ficción y Terror. Todos los viernes, en Ivoox, un nuevo audio narrado por locutores humanos. ¿Te atreves? Divago a diario en mi Twitter: @VengadorT. Además te ofrezco mis servicios como locutor online con estudio propio. Puedes contactar conmigo en www.locucioneshablandoclaro.com o en info@locucioneshablandoclaro.com Updated
La Cultureta
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